Die neue Richterin für Menschenrechte

Straßburg. Sie spricht neben Deutsch auch Englisch, Französisch und Russisch fließend und kann sich auch in Italienisch, Spanisch und Portugiesisch verständigen. Ihre umfangreichen Sprachkenntnisse und ihr Wissen über die Rechtssysteme in Osteuropa kann Angelika Nußberger (Foto: dpa) als neue deutsche Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gut gebrauchen

Straßburg. Sie spricht neben Deutsch auch Englisch, Französisch und Russisch fließend und kann sich auch in Italienisch, Spanisch und Portugiesisch verständigen. Ihre umfangreichen Sprachkenntnisse und ihr Wissen über die Rechtssysteme in Osteuropa kann Angelika Nußberger (Foto: dpa) als neue deutsche Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gut gebrauchen. Ab Januar wird sie für rund 800 Millionen Menschen in Europa Recht sprechen. Die 47-jährige Münchnerin wurde als deutsche Vertreterin der 47 Europaratsstaaten für neun Jahre an das Straßburger Gericht gewählt.Straßburg ist Nußberger nicht unbekannt. An der Straßburger Universität hatte sie bereits als Studentin Kurse über vergleichende Rechtssysteme besucht. 2001 und 2002 war sie zudem Rechtsberaterin am Europarat.

Ihrer neuen Aufgabe beim Europäischen Gerichtshof blickt Nußberger zuversichtlich entgegen. Insbesondere in den osteuropäischen Staaten liege ihr die Lage der Menschenrechte am Herzen. Seit Jahren untersucht sie als Professorin für internationales Recht und als Direktorin des Instituts für Ostrecht in Köln das russische Rechtssystem.

Unwürdige Haftbedingungen, unfaire Gerichtsverfahren, eine überlange Verfahrensdauer, Misshandlungen bei Verhören seien dort keine Einzelfälle. "In Staaten wie der Ukraine oder Russland hat sich aber trotzdem sehr viel getan. Es ist bei den Bürgern ein Bewusstsein entstanden, dass man bei besonderem Unrecht Beschwerde beim EGMR einlegen kann", sagt Nußberger.

Es lasse die dortigen Behörden nicht kalt, wenn der Gerichtshof einer Beschwerde stattgebe, sagt die Juristin. Russland habe die von den Straßburger Richtern verhängten Schadenersatzzahlungen in der Regel ohne Wenn und Aber geleistet, sagt die designierte Menschenrechtsrichterin. Allerdings bedeute das noch nicht, dass auch die allgemeine Rechtspraxis, insbesondere die Gerichtsverfahren und die Situation in den Gefängnissen, besser werde.

"Auch in Deutschland hat es immer wieder Fälle gegeben, bei denen eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention festgestellt worden ist und der EGMR eingreifen musste", sagt Nußberger. So habe der EGMR im sogenannten "Görgülü-Fall" Rechtsgeschichte geschrieben. In dem Familienrechtsstreit wollte der in Deutschland lebende türkische Vater Kazam Görgülü das Umgangs- und Sorgerecht mit seinem Sohn. Die Mutter des Kindes, mit der er nicht verheiratet war, hatte den Jungen ohne die Einwilligung von Görgülü zur Adoption freigegeben.

Der EGMR entschied 2004, dass das verweigerte Umgangs- und Sorgerecht Görgülüs Recht auf ein Privat- und Familienleben verletzt habe. "Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit diesem Fall erstmals den Stellenwert der Rechtsprechung des EGMR klargestellt", erklärt Nußberger. Nach dem Karlsruher Urteil ist die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch den EGMR von den deutschen Gerichten grundsätzlich zu beachten. Die EGMR-Urteile müssen umgesetzt werden. "In diesem Fall hat es neun Jahre gedauert, bis Vater und Sohn wieder zusammenkamen", sagt Nußberger.

Hier werde ein weiteres Problem deutlich. "Die durchschnittliche Verfahrensdauer liegt beim EGMR bei drei bis vier Jahren", sagt die Rechtsprofessorin. Die bereits mehrfach beanstandete lange Verfahrensdauer sei für das Straßburger Gericht selbst ein Problem. Mit der jährlich steigenden Zahl der Beschwerden, mittlerweile sind es über 130 000, werde auch die Verfahrensdauer länger. Für Nußberger ist der EGMR "Opfer seines eigenen Erfolges" geworden. Weit über 90 Prozent der Beschwerden seien jedoch unzulässig, da häufig der Rechtsweg im eigenen Land nicht ausgeschöpft werde. "Wir können die Probleme nur in den Griff bekommen, wenn die nationalen Gerichte die Menschenrechtsbelange besser berücksichtigen", sagt Nußberger.

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