Die neue Art des Wohnens

Saarbrücken · Wie ein Saarbrücker Professor sich mit viel Technik und einem landesweiten Netzwerk für selbstbestimmtes Leben im Alter einsetzt.

 Wolfgang Langguth sitzt in der Küche der Saarbrücker Musterwohnung, die mit vielen „altersgerechten Lebenshelfern“ ausgestattet ist. Foto: Iris Maurer

Wolfgang Langguth sitzt in der Küche der Saarbrücker Musterwohnung, die mit vielen „altersgerechten Lebenshelfern“ ausgestattet ist. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Eine grüne Küche? Nein, sagt die Besucherin, das muss man doch nicht haben. Es hätte mit Sicherheit schönere Farben gegeben, meint sie. Doch um gutes Aussehen geht es in der Wohnung in der Saarbrücker Hohenzollernstraße nur in zweiter Linie. Sie ist funktional, was bedeutet, dass sie den Ansprüchen ihrer Bewohner genügt. Die gibt es (noch) nicht, denn die Wohnung, die die Wohnungsgesellschaft Saarland (Woge) hier eingerichtet hat, ist eine Musterwohnung. Rund 200 Leute haben sie sich seit ihrer Einweihung im September 2016 angeschaut: Gruppen, Verbände, Reha-Einrichtungen.

Hier kann man sehen, wie ältere Menschen künftig leben könnten: mit einem Treppenlift, einer Küche, in der man Höhen verstellen kann, mit Notrufeinrichtungen aller Art. So manche 30-Jährige leisten sich heute schon ein Smart-Home (intelligentes Zuhause), weil sie es sich einfach leisten können und die Technik lieben, die ihnen hilft, die Rollläden rauf- oder runterzufahren, selbst wenn sie ein gutes Stück von zu Hause entfernt sind.

80-Jährigen dagegen bietet Technik die Möglichkeit, lange in der gewohnten Umgebung zu bleiben. Selbstbestimmt wird das genannt. Allerdings: Ist man noch selbstbestimmt, wenn die Technik auch die Rundum-Überwachung ermöglicht?

Das technikgestützte Leben könnte mit dem Datenschutz kollidieren. Professor Wolfgang Langguth, der an der Hochschule für Technik und Wirtschaft lehrt, weiß das. Und wann immer er Ambient Assisted Living (AAL), also altersgerechte Assistenzsysteme für ein selbstbestimmtes Leben, vorstellt, kommt die Frage auch darauf. Langguth hat 2014 im Saarland ein Netzwerk gegründet, dem inzwischen 120 Mitglieder angehören: Einzelpersonen, Einrichtungen, auch die Woge. Jüngst hatte er einen prominenten Redner eingeladen, um über Ethik zu sprechen. Der frühere saarländische Ministerpräsident Peter Müller, jetzt Verfassungsrichter, sagte dann aber wegen anderer Termine ab. Das hat Langguth sehr bedauert, denn von einer Rede Müllers hatte er sich Schwung für den ethischen Diskurs erhofft. Den hält er für notwendig, wenngleich er gerne von "fürsorglicher Überwachung" spricht.

Die Technik steht. Nahezu alles, was das Leben erleichtert, ist auf dem Markt. Wie etwa der Fensterputz-Roboter, den Langguth vorführt. Er lässt ihn in der Saarbrücker Musterwohnung an den Scheiben zum Hof entlangsurren. So ganz schlierenfrei schafft er seine Aufgabe nicht. Aber immerhin: Der Blick nach draußen ist wieder weitgehend ungetrübt.

Wir bleiben in der grünen Küche. Grün übrigens, weil das eine Farbe ist, die auf demente Menschen beruhigend wirken kann, wie der Professor erklärt. Dort lässt sich die Abstellfläche für Geschirr per Knopfdruck rauf- und runterfahren. Generell sind passende Höhen wichtig, unter anderem für Rollstuhlfahrer. Und ausreichende Breiten, sonst schaffen sie es nicht durch die Tür.

Von 30 000 Euro für eine perfekte Einrichtung ist die Rede. Dann gibt es zu den diversen Robotern auch einen Treppenlift und ein Bad ohne Stolperfallen und mit allerlei Hilfseinrichtungen. Und in den Räumen sind Sensoren angebracht, die etwa feststellen, ob sich jemand in der Wohnung bewegt oder nicht. Tut sich lange nichts, löst das Alarm aus. Für eine "Grundausstattung", zu der auch ein Tablet zählt, benötigt man weitaus weniger Geld.

Für private Investoren fehlt der finanzielle Anreiz, solche Wohnungen zu bauen. Rollstuhlfahrer brauchen nicht nur breitere Türen, sondern insgesamt mehr Platz. Die Rechnung ist einfach: mehr Quadratmeter, mehr Kosten. Die öffentliche Hand müsste also ran.

Doch wie sieht es aus bei Gesellschaften wie der Woge, die die Musterwohnung in einem ihrer Mehrfamilienhäuser eingerichtet hat? Sie hat überwiegend Wohnungen aus den 50er und 60er Jahren in ihrem Bestand. Die meisten davon haben keine ebenerdigen Eingänge - auch das Haus mit der Musterwohnung in der Saarbrücker Hohenzollernstraße nicht. Fast kein Haus hat einen Aufzug. Barrierefrei umbauen ließen sich solche Wohnungen, das teilte die Woge auf Anfrage mit, in den allermeisten Fällen nicht. Nach und nach baue man, wo immer es möglich sei, senioren- oder behindertenfreundlich aus.

Das ist der realistische Befund. Die Aufgabe, nicht nur für die Woge, bleibt bestehen. Es muss anderer Wohnraum her. Im jüngsten Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD ist die Rede von "Handlungsnotwendigkeiten für die Wohnraumversorgung" .

Man könnte auch sagen: Es muss dringend etwas geschehen, damit ältere Menschen möglichst lange im vertrauten Lebensumfeld bleiben können. Barrierefreies und barrierereduziertes Wohnen will die Landesregierung deshalb fördern.

Langguths Netzwerk findet ebenfalls im Koalitionsvertrag Beachtung. Dort steht "Das Saarland ist Vorreiter mit seinem Netzwerk für Ambient Assisted Living (AAL). Die Finanzierung und Förderung werden wir verstetigen. Das Saarland soll eine Modellregion für altersunterstützende Hilfen und konkrete Musterprojekte werden. Hierbei soll das deutsch-französische Regionalcluster Silver Valley weiterentwickelt werden."

Das klingt dann fast wie Silicon Valley und somit nach wirtschaftlichem Erfolg und Innovation. Passt also, denn es geht um Seniorenwirtschaft (silver economy). Mit den technischen Entwicklungen, die Älteren das Leben erleichtern, lässt sich Geld verdienen. Für Langguth ein Argument, dass er immer bringt, wenn er AAL vorstellt: "Man darf den Bedarf, den der demografische Wandel erzeugt, nicht als Manko sehen, sondern als Markt der Zukunft." So wie er auch immer darauf hinweist, dass Wohnungen, die auf Senioren zugeschnitten sind, auch Kindern das Leben erleichtern. Oder uns allen.

Während er über AAL spricht, sitzt er am Esstisch in der Musterwohnung und hält ein Tablet in der Hand. Gemeinhin heißt es ja, dass man ältere Menschen nur schwer dazu bringt, die neue Technik zu nutzen. Mit einem Wisch über den Schirm wischt Langguth auch Bedenken weg. Wenn man es so einrichte, dass die Nutzer nur klar erkennbare Buttons bedienen müssten, hinter denen klar erkennbare Funktionen stehen, sei das kein Problem, sagt er. Wolle man die Tochter oder den Sohn anrufen, genüge es auf den Knopf mit ihrem Foto zu drücken und die Verbindung werde hergestellt. Vieles ist möglich. Auch dass Langguth auf dem Sofa sitzend den Lichtschalter bedient. Er hält ihn in der Hand oder trägt ihn auf dem Weg durch die Wohnung mit sich. Ein Knopfdruck genügt, und es wird hell oder dunkel. Funksignale helfen dabei.

Die Technik ist vorhanden, und sie wird sich weiterentwickeln. Doch: Selbst wenn alles wie am Schnürchen läuft, Roboter die Hausarbeit übernehmen, über das Tablet die Verbindung zur Außenwelt herzustellen ist: Menschen brauchen Menschen. Und es sollte am Ende nicht heißen: Senioren allein zu Haus. So ist Langguth auch dort als Fachmann gefragt, wo über Wohnformen im Alter gesprochen wird, Senioren-Wohngemeinschaften etwa.

Als Wissenschaftler, dem selbstbestimmtes Leben im Alter und bei Krankheit ein Herzensanliegen ist, erfährt er auch außerhalb des Saarlandes Wertschätzung. Zum Digitalgipfel der Bundesregierung am 12. und 13. Juni in Ludwigshafen ist der HTW-Professor eingeladen. Dessen Titel lautet: "Vernetzt besser leben".

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