Die netten Terroristen von nebenan

München · Meist sind es nicht Fahnder, die Terroristen auffliegen lassen, sondern knappe Kassen. Schon das NSU-Trio flog erst nach einem missglückten Bankraub auf. Jetzt finden sich nach einer ähnlichen Tat Spuren zu RAF-Terroristen.

Trotz Meldepflicht, maschinenlesbaren Ausweisen und dem Problem, dass heutzutage eigentlich niemand ohne ein Bankkonto auskommt: Untergetauchte Terroristen schaffen es immer wieder, sich über Jahre oder gar Jahrzehnte vor der Polizei zu verstecken. Getarnt als normale Menschen, in normalen Wohnvierteln, als unauffällige Nachbarn. Das war beim rechtsextremen NSU-Trio so, und das ist möglicherweise bis heute bei den seit Jahrzehnten abgetauchten linksextremen RAF-Terroristen so. Wird doch mal jemand geschnappt, dann eher, weil beim Geldbeschaffen etwas schief geht.

Die RAF tauchte gerade erst wieder im öffentlichen Bewusstsein auf, als der Polizei vor wenigen Tagen brisante Spuren in die Hände fielen. Bei gleich zwei Überfällen fanden sich DNA-Abdrücke von drei Ex-RAF-Leuten. Beide Überfälle scheiterten, die Täter konnten aber beide Male entkommen. Wohin sie flohen - das wüssten die Ermittler gern.

Die mutmaßlichen Täter heißen Ernst-Volker Wilhelm Staub, Burkhard Garweg und Daniela Klette. Ihren letzten Terroranschlag sollen sie 1993 verübt haben. Sie sollen es gewesen sein, die mit 200 Kilogramm Sprengstoff den Neubau eines Gefängnisses im hessischen Weiterstadt zerstörten. Die Fahndung blieb erfolglos.

Das mag damit zu tun haben, dass die RAF im Laufe ihrer Geschichte Methoden entwickelte, das Leben im Untergrund penibel zu organisieren. Staub, Garweg und Klette stießen zu den Terroristen , als die schon viele Jahre Erfahrung in konspirativer Lebensführung gesammelt hatten. Es habe "für beinahe alles" Listen gegeben, so auch für die Einrichtung von Fluchtwohnungen, offenbarte der frühere RAF-Terrorist Peter-Jürgen Boock in einem Film des Zeitzeugen-Projekts "Gedächtnis der Nation". Dazu hätten ein "Geschirrset und ein Haushaltsset" gehört, die man bei Woolworth habe kaufen können. "Das waren zwei Koffer, und da hatte man eigentlich schon einmal das Wesentliche beieinander." Überhaupt sei die Einrichtung spartanisch gewesen, mehr als "ein paar Matratzen" fielen Boock nicht ein. Mit Bedacht hätte man aber die Eingangsflure "mehr oder weniger kleinbürgerlich ausgestattet" - damit man, so Boock, "den Nachbarn eventuell gucken lassen kann. Es kam ja manchmal jemand vorbei und wollte Zucker oder Salz."

Ähnlich professionell und bedacht sorgten auch die rechtsextremen NSU-Terroristen für einen unauffälligen Auftritt. Sie hatten sich sorgfältig aus echten Identitäten ihre Tarnidentitäten konstruiert. Beate Zschäpe alias "Liese" trank mit Nachbarn ab und zu ein Glas Sekt. Trafen die drei im Campingurlaub neue Bekannte, erzählten sie perfekt aufeinander abgestimmte Geschichten aus ihren vermeintlichen Leben. Sie profitierten bei ihrem Vorgehen wohl auch von der Erfahrung ihrer linksextremen Terrorkollegen von der RAF . Uwe Mundlos , so berichteten mehrere seiner früheren Jenaer Freunde als Zeugen im NSU-Prozess, habe Berichte über die RAF geradezu verschlungen.

Gemeinsam hatten oder haben der NSU und die jetzt Flüchtigen der RAF auch dies: Sie mussten sich im Untergrund auf die nicht immer berechenbare Hilfe freiwilliger Sympathisanten verlassen und waren ansonsten allein auf sich gestellt. Das war bei ihren Vorgängern in den 1970er und 1980er Jahren noch anders gewesen. Denen halfen die DDR und andere Ostblockstaaten. Aber auch nach dem Ende der DDR haben die Sicherheitsbehörden es nur selten geschafft, abgetauchte Terroristen zu fassen. Der NSU flog nur deshalb auf, weil Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bei einem Banküberfall gesehen wurden. Und womöglich wird es am Ende der finanzielle Druck sein, der auch das immer noch abgetauchte RAF-Trio auffliegen lässt.

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