„Die Lunte in Mazedonien glimmt nicht nur, sie brennt“

Droht in Mazedonien ein neuer Balkan-Krieg, diesmal sogar als Stellvertreterkonflikt zwischen dem Westen und Russland? Der frühere Verteidigungs-Staatssekretär und langjährige Präsident der deutsch-mazedonischen Gesellschaft, Walter Kolbow, hält die Lage für brandgefährlich. Unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff sprach mit dem 71-jährigen SPD-Politiker.

Herr Kolbow, Sie haben noch in der Nacht zum Montag wegen der Massendemonstrationen in Skopje auf Facebook gepostet, dass Sie sich große Sorgen um Mazedonien machen. Wie alarmiert sind Sie?

Kolbow: Das kann leicht zu einem Flächenbrand werden. So ernst war die Lage seit dem offenen Krieg zwischen Mazedoniern und Albanern im Jahr 2001 nicht mehr.

I st es denn ein ethnischer Konflikt oder ein innenpolitischer Konflikt?

Kolbow: Im Moment ist es eher Letzteres. Die Proteste richten sich gegen Premierminister Gruevski und dessen Regierung. Zum Beispiel weil nachweislich über 600 000 der zwei Millionen Einwohner vom Geheimdienst überwacht worden sind. Doch Gruevski versucht sich durch das Schüren ethnischer Auseinandersetzungen an der Macht zu halten. Ein Viertel der Bevölkerung sind Albaner. Vor zwei Wochen starben bei einer Schießerei in Kumanovo 22 Menschen, und vieles spricht dafür, dass das eine inszenierte Aktion der Regierung gegen angebliche albanische Separatisten war. Der Versuch, einen kleinen Krieg anzuzetteln, um von der Korruption im eigenen Bereich abzulenken.

Mischen auch ausländische Mächte mit?

Kolbow: Russlands Außenminister Lawrow hat vor kurzem bei seinem Besuch in Belgrad erklärt, der Westen wolle das Land in den Abgrund einer bunten Revolution stoßen. Das legt die Vermutung nahe, dass die Russen sich nach der Ukraine nun auch in Mazedonien positionieren wollen, um einen Keil in das westliche Bündnis zu treiben.

Kann das zu einem neuen Balkankrieg führen?

Kolbow: Die Gefahr ist groß. Das ist eine Lunte, die nicht nur glimmt, sondern bereits brennt, wie die Ereignisse in Kumanovo gezeigt haben. Die internationale Politik muss versuchen, eine Lösung zu erreichen. Die EU hat sich als Mediator angeboten und spricht heute in Brüssel mit beiden Akteuren, mit dem Premierminister und dem Oppositionsführer.

Wäre der Rücktritt Gruevskis eine Lösung?

Kolbow: Das und anschließende Neuwahlen wären ein Ausweg. Es ist jetzt die Bildung einer Technokraten-Regierung für den Übergang im Gespräch. Das streben die USA und die EU an.

Mazedonien ist EU-Beitrittskandidat, die Verhandlungen laufen seit zehn Jahren. Müsste man dem Land den Status nicht entziehen?

Kolbow: Es ist immer die Grund satzfrage, ob man ein Land durch eine Beitrittsperspektive stabilisiert oder ob man ihm mehr hilft, wenn man klar sagt, dass es noch nicht so weit ist. Ich vertrete aus meiner Kenntnis des Landes den Standpunkt, dass Mazedonien mittelfristig in die EU gehört. Das Land ist wegen des Namensstreites mit Griechenland viel zu lange sich selbst überlassen worden.

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