Die Konservativen am Abgrund

Paris · Die UMP steht vor einem Trümmerfeld – und das hat weniger mit der desaströsen Europawahl zu tun. Vielmehr reißt ein Finanzskandal die Konservativen in die Tiefe und den kompletten Parteivorstand mit.

Es ist ein neues Erdbeben, das sich viele in Frankreich gerne erspart hätten: Keine 24 Stunden nach dem historischen Sieg der rechtsextremen Nationalen Front bei der Europawahl wird die politische Landschaft des Landes erneut erschüttert. Jetzt steht die bürgerliche Oppositionspartei vor der Implosion. Die konservative UMP sieht sich mit Vorwürfen illegaler Wahlkampf-Finanzierung konfrontiert. Eine Vorstandssitzung mutierte gestern zur Stunde der Abrechnung - mit gewetzten Messern und rollenden Köpfen.

Nach mehrstündiger erhitzter Diskussion stellte zunächst UMP-Chef Jean-François Copé seinen Posten zur Verfügung. Kurz darauf gab schließlich die gesamte Parteiführung ihren Rücktritt zum 15. Juni bekannt. Im Herbst soll es einen außerordentlichen Parteikongress mit Neuwahlen geben. Für eine Übergangszeit übernimmt ein Triumvirat aus den früheren Premierministern Alain Juppé, Jean-Pierre Raffarin und François Fillon die Geschäfte.

Hintergrund ist eine Affäre, die vor Monaten bekannt geworden war und nun mit voller Wucht zurückschlägt. Im Februar hatte das Magazin "Le Point" enthüllt, dass Copé während des Präsidentschaftswahlkampfs von Nicolas Sarkozy 2012 einen Vertrauten eingeschaltet habe - den Chef des PR-Unternehmens Bygmalion. Dieses habe überhöhte Rechnungen ausgestellt, die Copé mit Parteigeldern bezahlt habe. Sinn und Zweck der Aktion sei gewesen, dem Freund mindestens acht Millionen Euro zuzuschustern. Die Justiz leitete daraufhin Ermittlungen wegen Begünstigung ein.

Seit Montagabend aber hat diese These eine ungeahnte Wendung erhalten: Der Anwalt Bygmalions erklärte überraschend, seine Firma sei von der UMP "gezwungen" worden, überhöhte Rechnungen auszustellen. Dabei sei es indes nicht darum gegangen, dass jemand illegal Geld einsteckt, sondern darum, Wahlkampfausgaben zu verschleiern. "Mehr als zehn Millionen Euro" seien unter falschem Verwendungszweck der Partei in Rechnung gestellt worden, wo es sich in Wirklichkeit um Kosten für Wahlkampfauftritte Sarkozys gehandelt habe, sagte der Anwalt.

Sarkozy, der 2012 um seine Wiederwahl bangte, hatte mit zahlreichen, pompösen Wahlkampf-Meetings in letzter Minute sein Budget massiv überzogen. Normalerweise hätte der damalige Amtsinhaber lediglich 22,5 Millionen Euro aufwenden dürfen. Die Ausgaben seien aber "explodiert", räumte inzwischen auch Jérôme Lavrilleux ein, Vize-Direktor von Sarkozys Wahlkampagne. Um nach außen hin im gesetzlichen Limit zu bleiben, sei ein finanzielles Konstrukt nötig gewesen. Sarkozy und Copé seien nicht eingeweiht gewesen. Auch Copé besteht darauf, "nichts gewusst" zu haben. Eine Version, die Beobachter in Zweifel stellen, gilt Lavrilleux als sein engster Vertrauter.

Sarkozy hat sich bislang nicht zur Angelegenheit geäußert, sein einstiger Schatzmeister wies die Vorwürfe allerdings zurück. Der frühere Innenminister Brice Hortefeux, ein enger Freund des Ex-Präsidenten, erklärte: "Nicolas Sarkozy war sehr unzufrieden darüber, dass sein Name mit dieser merkwürdigen Aktualität in Verbindung gebracht wird." Für Sarkozy ist die Affäre nicht nur unangenehm, sie könnte ihn auch politisch beschädigen. Sollten sich die Vorwürfe gegen ihn erhärten, kann er ein Comeback bei den Präsidentschaftswahlen 2017 wohl vergessen. Genau wie Copé. Wer nun der lachende Dritte sein wird, kann der UMP erstmal egal sein. Vielmehr muss sie den Scherbenhaufen aufkehren, der einst mal die populärste Partei Frankreichs war.

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