"Die Jugend darf nicht vergessen"

Berlin. Sein Großvater stand am Bahnhof, dieser prächtige Mann mit weißem Bart, in dessen Gebetsmantel er sich so gerne einhüllte. Schimon Peres war elf Jahre alt, als er den Zug besteigen musste, der ihn 1934 aus dem polnischen Wiszniew ins heilige Land bringen sollte. "Mein Junge, bleib immer Jude!", rief ihm der Großvater noch zu. Peres sah ihn nie wieder

Berlin. Sein Großvater stand am Bahnhof, dieser prächtige Mann mit weißem Bart, in dessen Gebetsmantel er sich so gerne einhüllte. Schimon Peres war elf Jahre alt, als er den Zug besteigen musste, der ihn 1934 aus dem polnischen Wiszniew ins heilige Land bringen sollte. "Mein Junge, bleib immer Jude!", rief ihm der Großvater noch zu. Peres sah ihn nie wieder. Als die Nazis später in dem kleinen Dorf einmarschierten, mussten sich alle Juden vor der Synagoge versammeln. Großvater, der stolze Rabbiner, ging als erster hinein, die anderen folgten ihm. Die Türen wurden von außen verriegelt, das Holzgebäude angezündet, von der Gemeinde blieb nur Rauch und Asche. Die Aufforderung seines Großvaters hat Peres nie vergessen - und immer beherzigt.

Es ist sehr still im Bundestag, es gibt sogar Abgeordnete, die zum Taschentuch greifen müssen, während sie dem israelischen Präsidenten lauschen. Gestern vor 65 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Das Parlament erinnert an die Opfer des Nationalsozialismus, es erinnert an eine Million ermordeter Menschen allein in Auschwitz. Dies sei ein Tag, an dem "wir unser Versprechen erneuern, dass wir das, was in der Vergangenheit geschehen ist, nicht vergessen", sagt Bundestagspräsident Norbert Lammert.

Der 86-jährige Peres ist der dritte israelische Staatspräsident, der vor dem deutschen Parlament in Berlin spricht, aber der erste, der an diesem Gedenktag das Wort ergreift. In der Stadt, wo der Massenmord geplant wurde, auch der an seinem Großvater. Peres hat ein halbes Jahr an seiner Rede gearbeitet.

Es wird eine ungemein eindrucksvolle Ansprache. Zu Beginn ist es ihm ein Bedürfnis, die ersten Sätze eines Kaddisch-Gebets für die sechs Millionen umgebrachten Juden zu sprechen. Die Holocaust-Überlebenden auf den Tribünen des Bundestages, die Vertreter des Judentums erheben sich langsam, es sind bewegende, ergreifende Momente im Parlament. Auch für Maria Blitz, 92 Jahre alt. Sie überlebte das Krakauer Ghetto, die Konzentrationslager Plaszow, Auschwitz und Stutthof, dem Todesmarsch von Königsberg konnte sie entfliehen. Blitz nickt, als Peres auffordert, immer noch lebende Täter des Völkermords zu verfolgen: "In unseren Augen handelt es sich nicht um Rache, sondern um Erziehung."

Die Jugend müsse sich erinnern, "darf nicht vergessen und muss wissen, was geschehen ist", so der Präsident. "Nie wieder dürfen blutrünstige Diktatoren ignoriert werden, die sich hinter demagogischen Masken verbergen und mörderische Parolen von sich geben", ruft Peres auch mit Blick auf den Iran. Manches sei verhandelbar, "das Existenzrecht Israels nicht", verspricht Lammert. has

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