Die heißen Drähte glühen

Berlin · Die Telefone auf dem Schreibtisch der Kanzlerin stehen während der Ukraine-Krise selten still. Wenn Angela Merkel sich mit anderen Staatschefs berät, bedeutet das vor allem für die Dolmetscher höchste Konzentration.

In diesen krisenhaften Tagen glühen die heißen Drähte förmlich, weil wegen der Lage in der Ukraine viel telefoniert wird. Mehrfach hat Kanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Wochen versucht, fernmündlich auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin Einfluss zu nehmen - zuletzt drängte sie ihn am Donnerstag, bei einer Freilassung der OSZE-Militärbeobachter mitzuwirken. Es ist die hohe Zeit der Telefon-Diplomatie. Und damit Hochsaison für Dolmetscher.

Auf Merkels Schreibtisch stehen zwei Telefone: Will sie mit Putin, Barack Obama oder einem anderen Staatschef reden, benutzt die Kanzlerin den abhörsicheren Apparat. Über einen zweiten Hörer ist ein Dolmetscher zugeschaltet. Dem Vernehmen nach stellt meist Merkels außen- und sicherheitspolitischer Chefberater Christoph Heusgen den Kontakt her - umgekehrt landen auch die Telefonwünsche anderer Staatschefs auf seinem Schreibtisch. Ist der Gesprächstermin vereinbart, werden im abhörsicheren Lagezentrum im vierten Stock des Kanzleramtes, drei Etagen unter Merkels Büro, die Verbindungen mit den ausländischen Regierungschefs hergestellt. Dort liegen auch die Nummern von Präsidenten aus der ganzen Welt vor. Telefonate mit anderen Staatschefs werden grundsätzlich gedolmetscht - Angela Merkel spricht aber sehr gut Russisch und Englisch. Deshalb verzichtet sie in einigen Fällen auf eine Übersetzung. Vor ein paar Jahren erklärte die Kanzlerin mal, sie spreche mit Wladimir Putin "überwiegend Deutsch, weil er besser Deutsch spricht als ich Russisch". Sie verstehe ihn allerdings, wenn er Russisch rede. Für Gespräche mit dem Franzosen François Hollande braucht sie auf alle Fälle einen Dolmetscher, weil er nicht Deutsch, sie nicht Französisch spricht. Mit Barack Obama hingegen kann sie Englisch sprechen. Doch zur Sicherheit ist bei allen politischen Gesprächen ein Übersetzer zugeschaltet. Zu vielen Staatschefs ist das Verhältnis vertraut, auch Putin nennt Merkel beim Vornamen. Was wirklich besprochen wird, bleibt im Nachhinein oft unklar. "Zu Telefonaten sage ich generell nichts", so die Kanzlerin. Deswegen ist die Deutung der Gespräche durch die Regierung meist knapp, und sie geben auch nur die eigene Sicht wieder.

Aufgabe der Dolmetscher ist es, "bei Gesprächen oder Verhandlungen im In- und Ausland die sprachliche Verständigung zu gewährleisten" - so steht es auf der Internetseite des "Sprachendienstes" des Auswärtigen Amtes. Oft bleibt keine Zeit für Vorbereitungen, wenn es heißt: "Schnell ins Kanzleramt." Beim Sprachendienst gibt es deswegen Experten für einzelne Staatschefs - wer seit Jahren Wladimir Putin übersetzt weiß, wie er formuliert, der kennt auch Zwischentöne, kann Ironie oder Nebenbemerkungen deuten.

Die Verantwortung ist groß: Ein falscher Satz, und die Atmosphäre des Gesprächs ist belastet, im schlimmsten Fall entsteht sogar diplomatischer Ärger. Vor allem Merkel-Putin-Gespräche sollen für Dolmetscher die Hölle sein. Es heißt, beide würden ihre Übersetzer korrigieren, wenn sie sich nicht ganz richtig wiedergegeben fühlten.

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