Die Grünen und das heikle Thema Asylpolitik

Berlin/Saarbrücken · Der stetig wachsende Flüchtlingsstrom bringt die Grünen in die Bredouille. Baden-Württembergs Landeschef zeigt sich offen in der Debatte um sichere Herkunftsländer. Das widerspricht jedoch ur-grünen Idealen.

Theresa Kalmer gibt sich angriffslustig: "Noch mehr ‚sichere Herkunftsstaaten' mit grüner Hilfe? Das wird auf unseren Widerstand treffen", lässt die Bundesvorsitzende der Grünen Jugend die Netzgemeinde wissen. Und sie macht Front gegen Winfried Kretschmann , den einzigen Ministerpräsidenten der Grünen. Der solle sich für die Wahrung von Grundrechten einsetzen und nicht ihre Aushöhlung vorantreiben, warnt Kalmer vor einem "schäbigen Deal".

Der baden-württembergische Regierungschef ist bereit, über die Einstufung weiterer Länder als sichere Herkunftsstaaten zu verhandeln - wenn erwiesen ist, dass solche Maßnahmen etwas bringen. Damit droht ihm neuer Ärger aus der eigenen Partei. Denn der mächtigste Grüne rüttelt an den Grundfesten grüner Ideale. Im Herbst war der Aufschrei groß, als Kretschmann im Bundesrat der Ausweisung erster Balkanstaaten als sichere Herkunftsländer zustimmte. Für die Grünen im Bundestag war das ein "Angriff auf das Grundrecht auf Asyl ".

Kretschmann bekommt aber auch den wachsenden Unmut in den Kommunen zu spüren, die unter den steigenden Flüchtlingszahlen ächzen. "Uns brennt der Kittel", sagt etwa Freiburgs grüner Oberbürgermeister Dieter Salomon. Und er befürchtet, dass die bislang überwiegend positive Stimmung in der Bevölkerung Flüchtlingen gegenüber kippen könnte. Zudem will er in acht Monaten wiedergewählt werden - auch wenn er beteuert, nicht aus wahltaktischen Motiven zu handeln. "Wir versuchen, die Probleme zu lösen und schielen nicht nach Wahlen", sagte er in einem Interview. Nach dem jüngsten ZDF-Politbarometer ist für eine deutliche Mehrheit der Bürger das Thema Flüchtlinge und Asyl mit Abstand das zentrale Problem. 54 Prozent meinten, dass Deutschland die große Zahl an Flüchtlingen verkraften könne, 41 glaubten das nicht. Mit solchen Zahlen beschäftigen sich auch die Wahlkämpfer der Parteien.

Grünen-Bundeschefin Simone Peter ist gegen die primär von der Union verfolgten Bestrebungen, nach Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien weitere Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Dieses Instrument habe sich als nicht zielführend erwiesen. Peter lobt aber auch das auf dem Stuttgarter Flüchtlingsgipfel geschnürte Maßnahmenpaket - etwa die Verdopplung der Aufnahmeplätze.

Es gehört zum Grundverständnis der Grünen, sich für Flüchtlinge einzusetzen und sich gegen eine "Festung Europa" zu wehren. Die Nähe zu Menschenrechtsgruppen hat sie stets von anderen Parteien unterschieden.

Auch der saarländische Grünen-Bundestagsabgeordnete Markus Tressel steht dem Konzept der sicheren Herkunftsländer eher skeptisch gegenüber. "Ich würde genau das unterschreiben, was Kretschmann sagt: Man könnte darüber nachdenken, wenn es tatsächlich zu einem Rückgang der Zahlen führen würde." Dies sei aber nicht der Fall. Deshalb "sehe ich im Konzept der sicheren Herkunftsländer eine bloße Symbolpolitik", sagte er der SZ. Es ersetze kein reguläres Asylverfahren. Auch in diesen angeblich sicheren Herkunftsländern gebe es Menschen, die massiv bedrängt oder bedroht würden und keine Perspektiven hätten, wie etwa die Roma in Ungarn.

In Baden-Württemberg zwingt die brisante Lage bei der Unterbringung von Flüchtlingen die Politik zum Handeln. Kretschmann arbeitet darauf hin, dass klarer unterschieden wird zwischen Flüchtlingen, die wohl in Deutschland bleiben dürfen und denen, deren Asylantrag aller Wahrscheinlichkeit nach abgelehnt wird. Die einen sollen schnell in die Kommunen verteilt und integriert werden - die anderen möglichst noch aus der Landeserstaufnahmestelle heraus zurückgeschickt werden. Kritiker sprechen von Flüchtlingen erster und zweiter Klasse. Doch Kretschmann will auch darauf dringen, dass Armutsflüchtlinge etwa vom Balkan leichter auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen können.

Im Gegensatz zur Situation im Herbst reicht es dieses Mal aber nicht, dass nur Kretschmann weiteren sicheren Herkunftsländern zustimmt. Die Machtverhältnisse im Bundesrat haben sich seitdem verändert - mindestens ein weiteres großes Land mit regierenden Grünen muss die Union auf ihre Seite holen. An acht Länderregierungen sind die Grünen inzwischen beteiligt. Die grünen Landesregierungen stellen seit längerem ein neues Machtzentrum dar, deren Einfluss auf die Bundespolitik oft größer ist als der der Parteispitze oder der Fraktion im Bundestag. Man darf also gespannt sein, wie das Tauziehen um die "sicheren Herkunftsländer" ausgeht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort