„Die Geldströme des IS müssen konsequent unterbunden werden“

Die Brutalität des sogenannten Islamischen Staates hat die Welt erschüttert. Jenseits dessen ist das Leben in den IS-Hochburgen bürokratisch organisiert. Das weiß der Experte Aymenn al-Tamimi, der zu den wenigen gehört, die Kontakte in die IS-Gebiete haben. Regelmäßig veröffentlicht al-Tamimi ihm zugespielte, geheime Dokumente der Terrormiliz. Mit ihm sprach SZ-Korrespondent Hagen Strauß.

Herr al-Tamimi, wie gefährlich ist das Leben im sogenannten Islamischen Staat?

Al-Tamimi: Wer im Islamischen Staat leben muss, lebt unter absoluter Kontrolle. Öffentliche Hinrichtungen sind an der Tagesordnung. Jenseits dessen und jenseits der Propagandafilme mit Enthauptungen organisiert der IS die normalen Aspekte des Alltags mit seiner Bürokratie . Vieles ist in den IS-Hochburgen bis ins kleinste Detail geregelt, wie Dokumente belegen - es gibt Lebensmittelkontrollen, Parkscheine, das Fischen mit Dynamit ist verboten. Klingt absurd. Aber das gehört zur Normalität des Alltags, die dem IS in seinen Gebieten wichtig ist.

Wodurch finanziert sich der Islamische Staat?

Al-Tamimi: Das Vermögen ist groß, aber basierend auf vorliegenden Haushaltsplänen aus Ost-Syrien nicht so gigantisch wie behauptet wird. Die Einnahmen aus dem Ölhandel sind zwar wichtig. Doch damit macht der IS nicht den Großteil seines Geldes, sondern etwa 20 Prozent. Am meisten nimmt er durch Steuern und Konfiszierungen ein. Autos, Häuser, Land, Schmuggelware wie Antiquitäten oder Zigaretten - alles kann für Finanzierungszwecke konfisziert werden. Wir nennen das Beuteökonomie, die sogar über Konten des Finanzministeriums organisiert wird. Und es gibt einen regen Handel mit Leuten außerhalb des IS-Territoriums. Das stabilisiert die Terrormiliz.

Bewirkt der Westen mit seinem militärischen Vorgehen etwas?

Al-Tamimi: Ja. Es ist der internationalen Koalition durchaus gelungen, die Terroristen deutlich zurückzudrängen. Auf der anderen Seite wird man mit Bomben allein den IS nicht vollends besiegen.

Womit dann?

Al-Tamimi: Der Handel mit der Außenwelt und die Geldströme müssen endlich konsequent unterbunden werden, um einen wirtschaftlichen Kollaps des Systems voranzutreiben. Die Türkei spielt wegen der Grenze zum IS-Gebiet eine zentrale Rolle, aber es ist zum Beispiel nicht möglich, die Grenzen zum Territorium des IS oder anderer syrischer Gruppen komplett abzuriegeln.

Es gibt Berichte, wonach der IS seinen Kämpfern nur noch die Hälfte des Solds zahlen kann. Steigt die Unzufriedenheit bereits?

Al-Tamimi: Das könnte möglich sein. Aber es ist auch sehr gefährlich, sich nur ansatzweise kritisch zu äußern. Dokumente belegen, dass der IS 5000 Dollar Belohnung ausgesetzt hat für jene, die einen Spion verraten.

Warum ist die Terrormiliz für einige Europäer so faszinierend?

Al-Tamimi: Es gibt drei Typen von Menschen, die vom IS angezogen werden. Zum einen jene, die Muslimen helfen wollen, die aus ihrer Sicht von Nicht-Muslimen verfolgt werden. Dann die gescheiterten Personen, die hier keinen Fuß fassen konnten; denen wird versprochen, als IS-Kämpfer zu Helden zu werden. Und dann gibt es noch die, die ihren Freunden einfach in den Krieg folgen. Nicht unterschätzen darf man die Terrorgefahr, die von den Rückkehrern ausgeht.

Was sagen die Ihnen vorliegenden Dokumente, hat der IS einen Plan, wo er in fünf oder zehn Jahren stehen will?

Al-Tamimi: Es kursierte ein vermeintlicher Fünf-Jahres-Plan zur Ausbreitung des Kalifats über die gesamte muslimische Welt. Aber das ist ein Mythos.

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Zur PersonAymenn al-Tamimi studierte in Oxford und forscht zu den Kriegsparteien in Syrien und dem Irak. Der 23-Jährige unterhält Kontakte in die IS-Gebiete. Im Netz und bei Twitter veröffentlicht er regelmäßig ihm zugespielte Dokumente der Terrormiliz. Nach eigenen Angaben besitzt er noch viele unveröffentlichte Papiere. Geboren wurde al-Tamimi in Großbritannien. Derzeit lebt er in Israel. Demnächst wird er auch am renommierten Londoner King's College forschen. has

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