"Die Fußfessel ist kein zahnloser Tiger"

Herr Stadler, nehmen Sie die Sicherheit der Bürger auf die leichte Schulter?Stadler: Keineswegs. Wir sind in einer Situation, in der der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem konkreten Fall einen Verstoß gegen das Verbot der rückwirkenden Verschärfung von Strafgesetzen gesehen hat

Herr Stadler, nehmen Sie die Sicherheit der Bürger auf die leichte Schulter?

Stadler: Keineswegs. Wir sind in einer Situation, in der der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem konkreten Fall einen Verstoß gegen das Verbot der rückwirkenden Verschärfung von Strafgesetzen gesehen hat. Deswegen hat es Entlassungen von Personen aus der Sicherungsverwahrung gegeben, die sich in derselben Situation befinden. Weitere Entlassungen stehen möglicherweise bevor. Das Gebot der Stunde ist, die Kontrolle dieser Personen zu verbessern. Als zusätzliche Maßnahme wollen Bund und Länder neben der polizeilichen Überwachung und der Führungsaufsicht die neue technische Möglichkeit der so genannten elektronischen Aufenthaltsüberwachung anwenden.

Aber noch mal: Es gibt große Sorgen in der Bevölkerung angesichts der Entlassung von Schwerverbrechern. Können Sie die Bürger beruhigen?

Stadler: Jeder Einzelfall muss richterlich beurteilt werden. Die jetzige Situation hat die Bundesregierung nicht gewollt. Das Rechtsmittel der Bundesjustizministerin gegen das Straßburger Urteil hatte aber leider keinen Erfolg. Gemeinsam mit den Ländern suchen wir jetzt nach Möglichkeiten, den Schutz der Bevölkerung bestmöglich sicherzustellen. . .

. . . mit der Fußfessel, die die Union für nicht sehr wirksam hält.

Stadler: Es waren doch gerade die Länder, die nach diesem Instrument gerufen haben. Wenn jemand aus der Sicherungsverwahrung entlassen wird, werden ihm Weisungen erteilt, wo er sich aufhalten darf und wo nicht. Und mit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung kann dies jedenfalls besser kontrolliert werden. Ein Verstoß gegen solche Weisungen stellt für sich eine Straftat dar, die eine erneute Inhaftierung zur Folge haben kann. Sie ist also kein zahnloser Tiger. Ich erwarte mir von ihr auch eine vorbeugende Wirkung, weil die Betroffenen um die Konsequenzen von Verstößen wissen.

Was spricht gegen den Vorschlag aus der Union, Schwerkriminelle in besonderen Einrichtungen unterzubringen?

Stadler: Der Vorschlag der Union hilft bei den Altfällen, die aufgrund der Rechtsprechung des Gerichts jetzt zur Freilassung anstehen, keinen Schritt weiter. Sie kann nur für künftige Fälle gelten. Diese Leute wurden in Sicherungsverwahrung genommen, als es dafür noch eine Höchstgrenze von zehn Jahren gab. Und das Gerichtsurteil besagt, dass man diese Grenze nicht nachträglich aufheben durfte, um die Sicherungsverwahrung zu verlängern. Deswegen können wir diese Personen jetzt nicht einfach nachträglich erneut in Sicherungsverwahrung nehmen.

Was schlagen Sie denn vor?

Stadler: Wir wollen die Möglichkeit, die Sicherungsverwahrung bereits im Urteil anzuordnen, deutlich erweitern. Die Ergebnisse des gestrigen Treffens auf Fachebene von Bund und Ländern werden wir jetzt auswerten und dann im Kreise der Koalition nach einer Lösung suchen. Die Zeit drängt. Ich hoffe, dass wir zügig nach der Sommerpause eine Lösung finden werden.

Das heißt aber auch, an Polizeibegleitung von Schwerkriminellen geht kein Weg vorbei.

Stadler: Für diejenige Personengruppe, auf die das Urteil anzuwenden ist, ist in der Tat in nächster Zeit polizeiliche Überwachung geboten.

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