Die EU könnte viel mehr tun

Brüssel · Die EU hätte die nötigen Instrumente, um eine Verbesserung der Situation für Opfer vor Ort herbeizuführen – bevor sie nach Europa kommen. Finanzielle Mittel sind reichlich vorhanden.

Ein Sündenbock ist schnell gefunden: "Europa gibt ein klägliches Bild ab", lautet der Vorwurf angesichts der Flüchtlingswelle. Doch das Bild ist unvollständig. "Die Lage verändert sich, aber sie entspannt sich nicht", sagt der CSU-Europa-Abgeordnete Markus Ferber nach vielen Gesprächen mit Vertretern von Hilfsorganisationen und UN-Beauftragten. "Noch bis vor kurzem waren die nordafrikanischen Staaten nur Durchgangsstationen für viele Flüchtlinge Richtung Europa. Deshalb interessierten sich die dortigen Regierungen nicht für das Problem." Inzwischen bleiben viele Opfer der Kriege in Marokko, Jordanien und Tunesien. "Das erhöht den Druck auf die Staaten, sich mit den Europäern an einen Tisch zu setzen und über Aufnahmezentren, Rückführung und andere Maßnahmen zu reden." Europa hat die nötigen Instrumente, um mit den nordafrikanischen Führungen zu reden: die Mittelmeer-Union, den Maghreb-Verbund. "Da könnten wir noch viel mehr für die Verbesserung der Lage vor Ort erreichen", sagt ein hoher EU-Diplomat gegenüber unserer Zeitung. Wie nötig das ist, zeigen die Berichte der Helfer vor Ort, die in Gesprächen mit den EU-Abgeordneten von "unvorstellbaren Unmenschlichkeiten" berichteten: "Kinder werden für den Organhandel verkauft. In den Lagern gibt es praktisch keine Frau, die nicht sexuelle Gewalt erfahren hat. Jede Frau wurde entweder vergewaltigt oder musste sich prostituieren, um an Dokumente und Nachweise für eine Ausreise Richtung Europa zu kommen." Doch während die EU-Staaten über einen Verteilschlüssel streiten, "könnte man deutlich mehr tun", wie Gerd Müller , der deutsche Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Brüssel bereits vorgeworfen hat. "Schulen für Kinder, Jobs für Männer, Schutz für Frauen vor Gewalt - alle diese Schritte sind nötig und machbar", sagt Ferber.

Tatsächlich wären die finanziellen Mittel für solche Hilfen vor Ort da: Der EU-Fördertopf für die Nachbarschaftshilfe ist ebenso gut gefüllt wie der für humanitäre Hilfsprojekte. "Es gibt keinen Grund zu warten, bis die Menschen hier bei uns sind", sagt der CSU-Politiker. Dass die Beseitigung der Flucht-Ursachen der wichtigste Beitrag zur Linderung der Not ist, wissen alle. Aber Außenpolitik braucht Zeit, die haben die Opfer vor Ort nicht. Dennoch droht der Gemeinschaft in den kommenden Wochen heftiger Streit über ihren Umgang mit Asylbewerben.

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