Die Ehemaligen rufen zum Brexit-Widerstand auf
London · Die britische Regierungschefin Theresa May dürfte sich derzeit fühlen wie Ebenezer Scrooge in Charles Dickens' Weihnachtsgeschichte, mutmaßte die Wochenzeitung "New Statesman": Ein Geist nach dem anderen aus der Premierminister-Vergangenheit taucht in den Schlagzeilen mit Anti-Brexit-Reden auf. Vor knapp zwei Wochen war es Tony Blair, der zum Widerstand gegen den EU-Ausstieg aufrief. Der Labour-Mann residierte von 1997 bis 2007 in der Downing Street Nummer 10 und befand, viele Menschen seien unzureichend über die Folgen informiert und müssten aufgeklärt werden.
Nun meldete sich John Major zu Wort. Der ehemalige konservative Premier warf am Montag der Regierung unter Theresa May auf ungewöhnlich scharfe Weise vor, ein "unrealistisches Bild" von der Zukunft nach dem EU-Austritt zu zeichnen. Es sei zu optimistisch, Hindernisse würden kleingeredet und Möglichkeiten übertrieben. Man benötige "weniger billige Rhetorik", wenn man einen guten Deal mit Brüssel erzielen wolle und "mehr Charme" im Umgang mit den EU-Partnern, meinte der 73-Jährige. Der Konservative führte das Land von 1990 bis 1997 und hält den Brexit für einen "historischen Fehler".
Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Ex-Regierungschefs einmischen. Schon vor dem Referendum vereinigten sich die beiden, als sie etwa Anfang Juni gemeinsam auftraten und vor den Risiken eines EU-Austritts warnten. Im November meinten sie gegenüber Medien, eine Abkehr vom Brexit wäre noch möglich, wenn die Bevölkerung erst einmal spürt, welche Folgen ein Abschied hat. Zu diesem Zeitpunkt war das Thema längst erledigt, der Entschluss unumkehrbar. Die Einsprüche von Blair und Major wurden deshalb von Brexit-Anhängern als Zeichen dafür kritisiert, dass sie den Willen des Volkes nicht respektieren würden - es ist der Dauervorwurf der Europa-Skeptiker.
Kürzlich kündigte Theresa May dann an, den klaren Bruch mit der EU anzustreben, inklusive Abkehr vom europäischen Binnenmarkt. Im März will sie den EU-Ausstieg formell in Brüssel beantragen, womit die Verhandlungen zwischen London und den EU-Partnern beginnen.
Für Blair und Major müssen dies qualvolle Wochen sein. Sie scheinen der Überzeugung, dass nur sie noch den Lauf der Geschichte beeinflussen können. Denn auch wenn die meisten Abgeordneten vor dem Referendum für den Verbleib warben, mittlerweile steht kaum ein Parlamentarier noch zu seiner Meinung oder versucht ernsthaft, auf die Bedingungen der Scheidung einzuwirken. Zu aggressiv wird die Debatte von den Anti-EUlern bestimmt, zu persönlich sind deren Angriffe auf die Europafreunde, die als "unpatriotisch", "arrogant" oder "schlechte Verlierer" verunglimpft werden.