Die Angst vor dem ewigen Streik

Berlin/Frankfurt · Mehr Eskalation geht kaum noch: Die Lokführer haben ihre neunte Streikwelle begonnen, ohne ein Ende zu benennen. Hinter den Kulissen bemühen sich die Tarifpartner um Annäherung. Ausgang ungewiss.

Dieser Arbeitskampf ist auch ein Kampf der Worte. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL ) ruft zu einem unbefristeten Streik auf. Den möge man aber nicht so nennen, weil die GDL ein Ende ja irgendwann bekannt geben werde, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Claus Weselsky.

Auf diese Idee ist er möglicherweise gekommen, weil ein Arbeitsgericht einen unbefristeten Ausstand als unverhältnismäßig bewerten und untersagen könnte - anders als bei der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hessen zu der befristeten Streikaktion bei der Bahn im vorigen November.

Damals erlitt Ulrich Weber, der Personalvorstand der Deutschen Bahn, eine Niederlage. Dennoch schloss er jetzt nicht aus, dass der Konzern nochmals gegen die GDL vor Gericht zieht. "Wir prüfen die rechtlichen Möglichkeiten kontinuierlich", sagte der Manager kurz nach dem Streikaufruf der GDL am Montag. Lieber wäre ihm aber eine Schlichtung, um das Pingpong mit Vorwurf und Gegenvorwurf zu beenden, "um mit Hilfe Dritter aus diesem Modus herauszukommen".

Dabei sollte gestern ein klärendes Gespräch mit dem renommierten Arbeitsrechtler Klaus Bepler helfen. Die Bahn hatte den früheren Bundesrichter hinzugezogen, wohl um mit seiner Hilfe die GDL vom Nutzen eines Schlichtungsverfahrens zu überzeugen und Vorbehalte dagegen auszuräumen. Denn Weselsky hatte sich zwar am Sonntag zu einer Schlichtung bereiterklärt, aber letztlich nur halb. Denn die schwierigen Tarifstrukturfragen, wie Lok rangierführer und andere Berufsgruppen in ein künftiges GDL-Tarifwerk integriert werden könnten, wollte er nicht zum Gegenstand einer Schlichtung machen.

Auch wenn Weber über das Verhältnis zu Weselsky sagte, es sei "ja nicht so, dass wir da persönlich Animositäten hätten", so ist das Vertrauen zwischen Bahn und GDL nachhaltig gestört. Ob Beplers Einsatz daran etwas ändern konnte, blieb erst einmal offen. Beide Seiten schwiegen zunächst zu der vertraulichen Unterredung in Frankfurt an unbekanntem Ort.

Besorgt klingt Bahn-Vorstand Ulrich Homburg. Wegen der bereits neunten Lokführer-Streikwelle sieht er "das Vertrauen in das Gesamtsystem Bahn" erschüttert. Im Güterverkehr zeige sich das daran, dass Großkunden sich inzwischen für ihre Transporte "ein zweites Standbein aufgebaut" hätten, weil kein Verlass mehr auf die Bahn sei.

Für die Bahn-Logistiktochter Schenker Rail macht das offen gelassene Streik-Ende die Sache besonders schwierig. "Unsere Kunden wollen wissen, wann wir ihre Güter fahren können", sagte eine Sprecherin des Unternehmens in Frankfurt. Anders als im Personenverkehr sei nahezu jeder Güterzug eng mit den Kunden abgestimmt, denen nun keine festen Alternativen zugesagt werden könnten.

"De facto ist das für uns ein unbefristeter Streik. Je länger er dauert, desto schwieriger wird es, den Ersatzfahrplan aufrechtzuerhalten", sagte die Sprecherin. Wie schon in der achten Streikwelle will Schenker Rail rund zwei Drittel des üblichen Programms abfahren.

Besonders wichtige und zeitkritische Güter wie zum Beispiel Teile für die Autoindustrie werden dabei wieder bevorzugt. Auch das Einzelwagen-Netz, über das einzelne Waggons über die Rangierbahnhöfe zu unterschiedlichsten Zielen gebracht werden, soll aufrechterhalten werden.

Auf dem Schienennetz erwartet die Bahn trotz zusätzlicher Baustellen über Pfingsten nur geringe Probleme durch den Streik. Letztlich ist das Netz geringer belastet, wenn wie beim vorangegangenen Streik nur rund die Hälfte der Züge unterwegs ist. Probleme könnten sich allerdings aus längeren Haltezeiten ergeben, wenn die verbliebenen Züge voller sind als sonst üblich, meinte eine Sprecherin der Netztochter der Bahn.

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