Dicke Luft im Kessel

Stuttgart · Stuttgart ist die erste deutsche Großstadt, in der ein FeinstaubAlarm ausgerufen wurde. Seit gestern sind Autofahrer aufgerufen, ihr Auto stehen zu lassen. Noch setzt die Stadt auf Freiwilligkeit, doch ist es damit getan?

Raureif liegt auf den Dächern von Stuttgart , die Sonne strahlt vom Himmel, der an diesem klirrend kalten Wintertag besonders klar und blau erscheint. Dass erstmals in einer deutschen Großstadt Feinstaub-Alarm ausgelöst wurde, spürt man allenfalls am Verkehr. Der Appell des Rathauses, den Wagen stehen zu lassen, wurde offensichtlich von den Bürgern gehört. Zumindest gefühlt, denn die S- und U-Bahnen sind voll. Gemessen wurde die Verkehrsdichte allerdings nicht. Wissenschaftlich belegt ist aber die schwierige Luftsituation in Stuttgart .

Die Kessellage der Stadt bringt es mit sich, dass bei besonderen Wetterlagen die Luft steht. Dann schnellen die Feinstaubwerte, vor allem aber die Stickstoffdioxidwerte in die Höhe. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) sagte diesen Zustand für mindestens die Hälfte der Woche voraus, deshalb soll der Appell, das Auto stehen zu lassen und keine Holzöfen anzumachen, bis Donnerstag andauern.

Am Samstag alarmierte die Stadt bereits über Twitter und andere Online-Medien, Brückenbanner in der Region werden aufgehängt, Verkehrsmeldungen im Radio gesendet, Vario-Tafeln an den innerstädtischen Ein- und Ausfahrtstraßen installiert. Auf Informationsanzeigen an der Autobahn und über die eigens eingerichtete Website www.feinstaubalarm.stuttgart.de wird über Beginn, Fortgang und Ende des Feinstaub-Alarms informiert, damit sich die Bürger und Pendler darauf einstellen können. Sie sind gehalten, auf Bus, Bahn oder Rad umzusteigen oder wenigstens Fahrgemeinschaften zu bilden.

Rathauschef Fritz Kuhn setzt auf Freiwilligkeit - noch. "Hilft die Freiwilligkeit nicht, folgt der Zwang", so der Oberbürgermeister. "Das Thema bewegt die Menschen enorm", so Kuhn. Über Facebook hat die Stadt mehr als 200 000 Nutzer erreicht, die 360 Kommentare abgegeben haben. "Die Konsequenzen der hohen Schadstoffbelastung im Stuttgarter Kessel sind noch nie so intensiv diskutiert worden", meint der grüne Rathauschef. "Das ist wichtig, denn wir wollen die Menschen ja zum Umdenken bewegen." Nicht ganz nebensächlich dürfte sein, dass die Grünen wenige Monate vor der Landtagswahl, bei der Ministerpräsident Winfried Kretschmann sein Amt verteidigen will, nicht als Verbotspartei daherkommen wollen. Deshalb belässt es Kuhn heute noch bei der Warnung. Pläne für Fahrverbote oder eine City-Maut , sind Beobachter überzeugt, liegen längst in der Schublade. Stuttgart soll es nicht so ergehen wie Wiesbaden. Gegen die hessische Landeshauptstadt hatte die Deutsche Umwelthilfe vor dem Verwaltungsgericht geklagt - und Recht bekommen. Wiesbaden müsse ein ambitionierteres Luftreinhaltekonzept vorlegen, damit früher als 2020 dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung Rechnung getragen werden könne. "Das hessische Urteil dürfte auch die baden-württembergische Landesregierung ins Schwitzen bringen", meint der Vorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Matthias Lieb. Auch die Kesselstadt Stuttgart müsste es schaffen, 20 Prozent des Kfz-Verkehrs auszubremsen. Kuhns Strategie, über Ausbau der E-Mobilität, Hybrid- und E-Busse oder eine Partikelfilterpflicht für Lastwagen (im Stuttgart 21-Dauereinsatz) die Emissionen einzudämmen, seien alle richtig. Den Feinstaub-Alarm allerdings an Freiwilligkeit zu koppeln, sei eher ein schlechter Scherz als eine ernst zu nehmende Maßnahme, meint Lieb. Mit Appellen sind die Grenzwerte nicht einzuhalten, ist auch der Bund für Umwelt und Naturschutz über zeugt.

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HintergrundAls Feinstaub werden winzige Partikel bezeichnet, die eine gewisse Zeit in der Luft schweben. Ursprung der Schadstoff-Teilchen können etwa Dieselruß, Reifenabrieb oder Abgase von Industrie-, Kraftwerks- oder Heizungsanlagen sein. Je nach Größe und Eindringtiefe der Teilchen sind die gesundheitlichen Wirkungen von Feinstaub nach Angaben des Umweltbundesamtes verschieden. Als besonders gefährlich gelten ultrafeine Teilchen mit weniger als 2,5 Mikrometern Durchmesser (PM2,5), die sich tief in den Bronchien und Lungenbläschen festsetzen oder sogar ins Blut übergehen können. Für diese Partikel gilt europaweit ein Grenzwert von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel. dpa

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