Deutschkrons zerrissenes Leben
Berlin. Da ist ein leises, kurzes Lachen zu hören, das die Stille im Plenarsaal des Bundestages durchbricht. Es ist das Lachen von Inge Deutschkron, der kleinen, in Schwarz gekleideten Frau mit der roten Handtasche. Bundespräsident Joachim Gauck ist auch anwesend, er hat sie zum Rednerpult geführt, eine Parlamentsdienerin bringt der 90 Jahre alten Dame ihr Redemanuskript
Berlin. Da ist ein leises, kurzes Lachen zu hören, das die Stille im Plenarsaal des Bundestages durchbricht. Es ist das Lachen von Inge Deutschkron, der kleinen, in Schwarz gekleideten Frau mit der roten Handtasche. Bundespräsident Joachim Gauck ist auch anwesend, er hat sie zum Rednerpult geführt, eine Parlamentsdienerin bringt der 90 Jahre alten Dame ihr Redemanuskript. Soviel hoher Beistand amüsiert die rüstige Autorin, die im Untergrund Berlins den Nazi-Terror überlebt hat. Das leise Lachen sorgt für ein wenig Gelöstheit unter den Abgeordneten und den Gästen auf den Tribünen.Denn es ist eine schwere, bewegende Stunde, die im Reichstag stattfindet: Man gedenke der "Verfolgten, Gemarterten, Gedemütigten und der Ermordeten", sagt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zu Beginn. 68 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 und auf den Tag genau 80 Jahre, nachdem Adolf Hitler zum Reichskanzler ausgerufen wurde. "Beide Daten trennen nur zwölf Jahre und eine Ewigkeit des Grauens", so Lammert eindringlich. Im Saal gehört Inge Deutschkron zu denen, die es erlebt haben. Sie ist eine von etwa 1700 geretteten Berliner Juden, die sich der Deportation in den sicheren Tod entziehen konnten, weil sie Hilfe erfuhr. Zwei Jahre und vier Monate konnte sie sich mit ihrer Mutter verstecken. Ihre Schilderung wird eine des schrecklichen Alltags einer Jüdin in Nazi-Deutschland. Ein direkter Zeitzeugenbericht, von denen es in Zukunft kaum noch welche geben wird.
"Zerrissenes Leben" hat sie ihren Vortrag überschrieben. Als Hitler an die Macht kam, habe ihr die Mutter gesagt: "Mein Kind, du bist Jüdin." Sie gehöre nun zu einer Minderheit. "Lass dir nichts gefallen, wenn dich jemand angreifen will. Wehr dich!", lautete die Aufforderung der Mutter. Dieser Satz habe ihr ganzes Leben bestimmt, so Deutschkron mit fester Stimme. Die meisten Deutschen hätten weggeschaut, wenn sie ihren Judenstern gesehen hätten. "Es gab auch solche, die hässliche Grimassen vor mir schnitten." Manche hätten ihr aber auch heimlich einen Apfel oder eine Fleischmarke zugesteckt. Jeden Tag habe es neue Gesetze, neue Verbote für Juden gegeben. Und Deportationen. Die letzten hätten mehrere Tage gedauert, "dann waren sie alle weg, meine Familie, meine Freunde".
Sie habe begonnen, sich schuldig zu fühlen. "Mit welchem Recht verstecke ich mich?" Das Gefühl von Schuld ließ Deutschkron nie wieder los. Die Nachkriegszeit sei dann zunächst voller Enttäuschungen gewesen. So habe ihr Vater, ein Oberstudienrat im britischen Exil, vergeblich darauf gewartet, dass Deutschland ihn nach 1945 zurückhole. "Doch dieser Ruf, diese Einladung kam nicht." Ihr selbst sei nach Kriegsende oft gesagt worden: "Vergessen Sie doch. Sie müssen doch auch vergeben können." Da sei ihr klar geworden, "was meine Pflicht war: Ich musste die lückenlose Wahrheit niederschreiben, präzise und emotionslos". Bis heute hat es sich die Journalistin zur Aufgabe gemacht, als Zeitzeugin über die Schrecken der NS-Zeit zu berichten, so wie im Bundestag.