Der Skandal wirkt nachDas neue Organspende-Gesetz soll mehr Transparenz bringen

Saarbrücken/Berlin. Wegen der jüngsten Skandale in der Transplantationsmedizin sinkt die Zahl der Organspenden in Deutschland offenbar drastisch. Von Januar bis September dieses Jahres zählte die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) 829 Organspender. Das waren 71 oder knapp acht Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Dabei ist seit dem 1

 Der Organspendeausweis: Immer weniger Bürger sind bereit, ihn auszufüllen. Foto: Rehder/dpa

Der Organspendeausweis: Immer weniger Bürger sind bereit, ihn auszufüllen. Foto: Rehder/dpa

Saarbrücken/Berlin. Wegen der jüngsten Skandale in der Transplantationsmedizin sinkt die Zahl der Organspenden in Deutschland offenbar drastisch. Von Januar bis September dieses Jahres zählte die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) 829 Organspender. Das waren 71 oder knapp acht Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.Dabei ist seit dem 1. August der erste Teil einer Organspende-Reform in Kraft. Es soll die Spende-Bereitschaft der Bürger stärken. Dabei geht es vor allem um Transparenz: Eine Prüfungskommission soll die Transplantationszentren und Entnahmekliniken genauer unter die Lupe nehmen und die Behörden bei Verstößen gegen das Transplantationsgesetz informieren. Entnahmekliniken müssen Transplantations-Beauftragte bestellen. Außerdem haben Lebendspender Anspruch auf Krankenbehandlung, Vor- und Nachbetreuung, Rehabilitation, Fahrtkosten und Krankengeld. Dafür soll die Krankenkasse des Organempfängers aufkommen.

Am 1. November soll der zweite Teil der Reform in Kraft treten: die sogenannte Entscheidungslösung. Danach sollen alle Bundesbürger über 16 Jahren von der Krankenkasse in regelmäßigen Abständen über ihre Bereitschaft für oder gegen eine Organspende im Todesfall befragt werden. red Bonn/Saarbrücken. Mehr Organspenden sind das Ziel: Am 1. November tritt deshalb eine Reform des Transplantationsgesetzes in Kraft. Nach der dann geltenden "Entscheidungslösung" werden künftig alle Bürger über 16 Jahre regelmäßig über ihre Organspende-Bereitschaft befragt. Doch dem Gesetz wird ein holpriger Start beschert: Denn große Krankenkassen wie die Barmer GEK und die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) wollen ihren Mitgliedern derzeit noch keine gesonderten Informationen und keinen Spenderausweis zuschicken, wie es die Reform des Gesetzes vorsieht. Der Grund: die Verunsicherung, die die Organspende-Skandale in Regensburg, Göttingen und München bei der Bevölkerung ausgelöst haben.

"Wir wollen nicht das viele Geld ausgeben, ohne den Versicherten auf ihre berechtigten Fragen Antwort geben zu können", sagt der Pressesprecher des AOK Bundesverbandes, Udo Barske, auf Anfrage. Erst müsse die Politik Konsequenzen aus den Skandalen ziehen. Einen Termin für die Informationsversendung an alle Mitglieder hat die AOK mit ihren 24 Millionen Versicherten deshalb noch nicht festgelegt. Barske verweist darauf, dass das Gesetz den Kassen ein Jahr Zeit dazu gibt.

Die IKK Südwest plant, die Briefe im ersten Quartal 2013 zu verschicken, will aber weiter die Entwicklung der Situation um die Organspende abwarten. "Momentan ist es schwierig, die Menschen für das Thema zu sensibilisieren", sagt Pressesprecher Roland Spengler. Die AOK Rheinland-Pfalz/Saarland will ihre Versicherten "so bald wie möglich, spätestens Anfang des Jahres 2013" informieren, sagt Vorstandsvorsitzender Walter Bockemühl. Gerade vor dem Hintergrund einer rückläufigen Organspende-Bereitschaft und der Verunsicherung der Bürger sei dies erforderlich.

Ähnlich argumentiert die Techniker Krankenkasse (TK). "Gerade weil die Verunsicherung so groß ist, wollen wir zeitnah noch in diesem Jahr informieren", kündigt die zuständige Pressereferentin Michaela Hombrecher an. Sie verweist auf Erkenntnisse einer Kampagne für mehr Organspenden, die die TK seit dem Frühjahr mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchführt: "Das Wissen der Bürger über die Organspende ist sehr gering", analysiert Hombrecher. "Den meisten ist nicht einmal klar, dass man auf dem Spenderausweis auch sein Nein zur Organspende dokumentieren kann."

Auf schnelle Information dringt auch das Bundesgesundheitsministerium. Gerade in Zeiten der Verunsicherung sei die Aufklärung der Bevölkerung ganz wichtig, sagt ein Sprecher. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) reagiert zurückhaltend auf die Ankündigung einiger Krankenkassen. Innerhalb der Jahresfrist, die das Gesetz gibt, sei es den Kassen überlassen, wann sie informieren. "Wichtig ist jedoch, dass sie es tun", sagt Günter Kirste, Medizinischer Vorstand der DSO.

Zwar konnte die DSO seit Bekanntwerden der Skandale keinen deutlichen Einbruch bei den Organspenden-Zahlen feststellen. Dennoch liegt das Gesamtergebnis der ersten drei Quartale 2012 deutlich unter dem Vergleichswert des Vorjahres (siehe Artikel ganz rechts). Für den Transplantationsverantwortlichen des Uni-Klinikums Homburg, Dr. Urban Sester, sind die Zahlen jedoch nicht entscheidend. "Es gibt immer wieder Schwankungen", sagt er. Wichtig sei jetzt, dass die Transplantationsmedizin sich der Öffentlichkeit stelle. Aus zahlreichen Gesprächen habe er den Eindruck gewonnen, "dass die Menschen den Skandal sehr differenziert betrachten. Sie wissen, dass es überall schwarze Schafe gibt. Und sie sehen auch, dass Politik und Ärzteschaft schnell reagiert haben."

Die Zahl der Spender und der gespendeten Organe stagniert in Deutschland seit langem, während 12 000 Menschen auf der Warteliste auf ein neues Organ warten. Laut Deutscher Stiftung Organtransplantation werden jeden Tag durchschnittlich elf Organe übertragen; gleichzeitig sterben drei Menschen pro Tag, die auf der Warteliste stehen.

Hintergrund

Unregelmäßigkeiten bei Organtransplantationen kamen erstmals im Juli dieses Jahres in die Schlagzeilen. Ein früherer Oberarzt und ein weiterer Arzt stehen in Göttingen im Verdacht, Akten manipuliert zu haben. Damit sollte bestimmten Patienten eine schnellere Lebertransplantation ermöglicht werden. Offenbar ist auch die Universitätsklinik Regensburg von dem Göttinger Skandal berührt. Dort war der ehemalige Oberarzt vor seiner Anstellung in Göttingen beschäftigt.

Im September räumte auch das Münchener Krankenhaus Rechts der Isar Auffälligkeiten bei der Vergabe von Organen ein. Danach hatte im August eine Arbeitsgruppe 163 Lebertransplantationen untersucht und bei einigen Unregelmäßigkeiten festgestellt. red

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Unser Ort hat viele Gesichter - St. Wendel Die Saarbrücker Zeitung zeigt, wie viele Gesichter die Orte haben. Die Menschen sind zu den Terminen gekommen und haben tolle Bilder für ihren Ort abgegeben. Heute präsentiert sich die Kernstadt St. Wendel.
Unser Ort hat viele Gesichter - St. Wendel Die Saarbrücker Zeitung zeigt, wie viele Gesichter die Orte haben. Die Menschen sind zu den Terminen gekommen und haben tolle Bilder für ihren Ort abgegeben. Heute präsentiert sich die Kernstadt St. Wendel.
Unser Ort hat viele Gesichter - heute St. Wendel Die Saarbrücker Zeitung zeigt, wie viele Gesichter die Orte haben. Die Menschen sind zu den Terminen gekommen und haben tolle Bilder für ihren Ort abgegeben. Heute präsentiert sich die Kernstadt St. Wendel
Unser Ort hat viele Gesichter - heute St. Wendel Die Saarbrücker Zeitung zeigt, wie viele Gesichter die Orte haben. Die Menschen sind zu den Terminen gekommen und haben tolle Bilder für ihren Ort abgegeben. Heute präsentiert sich die Kernstadt St. Wendel
Unser Ort hat viele Gesichter - diesmal: Niedersalbach Die Saarbrücker Zeitung geht der Frage nach, wie viele Gesichter unsere Orts- und Stadtteile haben. Mit den Menschen, die zu den Fototerminen gekommen sind, haben wir über die Vorzüge ihres Ortes gesp
Unser Ort hat viele Gesichter - diesmal: Niedersalbach Die Saarbrücker Zeitung geht der Frage nach, wie viele Gesichter unsere Orts- und Stadtteile haben. Mit den Menschen, die zu den Fototerminen gekommen sind, haben wir über die Vorzüge ihres Ortes gesp