Der Papst, der Profit und die Populisten

Washington · Franziskus war noch nie in den USA, nun reist er als kirchliches Oberhaupt an. Mit seiner Kapitalismuskritik hat er schon vorab für reichlich Debattenstoff gesorgt.

Esmeralda Dominguez hofft auf den Papst. Sie ist eine von 100 Frauen, die exakt 100 Meilen marschieren, um morgen vor dem Weißen Haus zu stehen, wenn der Papst dort empfangen wird. Von York, einer Kleinstadt in Pennsylvania, geht es nach Washington , um auf die paradoxen Folgen einer überfälligen, vom Kongress verschleppten Reform des Einwanderungsrechts aufmerksam zu machen.

Esmeralda Dominguez, selber US-Staatsbürgerin, wartet in Denver seit vier Jahren darauf, dass ihr Gatte Jesus, einst über die Grenze aus Mexiko gekommen, eine Aufenthaltsgenehmigung erhält. An Krebs erkrankt, konnte sie eine Weile keiner Arbeit nachgehen, sodass ihr Mann mit Schwarzarbeit die Familie über die Runden bringen musste. Der Pontifex, hofft sie, möge deutliche Worte finden zum Dilemma von elf Millionen Menschen, die ohne gültige Papiere eingewandert sind, nun aber schon seit Jahren im Land leben, ohne die juristische Grauzone verlassen zu können. Dass es nicht um Statistiken geht, sondern um menschliche Schicksale, solle er sagen.

So wie Dominguez bauen viele auf Jorge Mario Bergoglio, dessen Vater 1929 aus Italien nach Buenos Aires übersiedelte und der die Biografien von Migranten allein schon auf Grund seiner Familiensaga verstehen sollte. Mit ihm verbindet sich die Hoffnung, dass eine moralische Autorität die Amerikaner in einem Moment, in dem der Populist Donald Trump mit Sprüchen von der Massendeportation und dem Mauerbau an der mexikanischen Grenze Kapital aus einer latenten Verunsicherung schlägt, an den Kern ihrer Geschichte erinnert. "Daran, dass es Migranten und Flüchtlinge waren, die dieses Land aufgebaut haben", wie es Eusebio Elizondo, Weihbischof in Seattle, Brief formuliert.

Franziskus reist in ein Land, in dem soziale Ungleichheit ein zentrales Thema geworden ist. Ein Land, in dem die Wohlstandschere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht. Er kommt in ein Land, in dem der linke Demokrat Bernie Sanders, vor Monaten belächelter Außenseiter, heute ernsthafter Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei, ganze Stadien füllt, wenn er mit der Rhetorik von "Occupy Wall Street " von den 99 Prozent spricht, die von dem einen Prozent an der Spitze immer mehr abgehängt würden.

In den Reihen der Republikaner wiederum gibt es Stimmen, die nicht nur Sanders, sondern auch Franziskus vorwerfen, die Realität zu verzerren. Newt Gingrich , in den 1990er Jahren der führende Konservative im Parlament, zitiert Worte, mit denen der Pontifex neulich in Bolivien das kapitalistische Wirtschaftssystem charakterisierte, aber nur, um heftig zu widersprechen. "Die Mentalität des Profits um jeden Preis, ohne Rücksicht auf soziale Ausgrenzung oder die Zerstörung der Natur. Das sind nicht die USA", protestiert Gingrich. Vielmehr handle es sich um ein Wirtschaftssystem, das Kreativität und harte Arbeit belohne. Manche Republikaner sprechen denn auch von "Obamas Papst", weil eben alles, was auf der Washingtoner Bühne geschieht, partout ins Raster amerikanischer Parteipolitik gepresst werden muss.

Ein Abgeordneter, Paul Gosar aus Arizona, denkt sogar öffentlich darüber nach, die päpstliche Rede im Kongress, die erste überhaupt, die ein Kirchenoberhaupt auf Capitol Hill hält, zu boykottieren.

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