Der Nervenkrieg

Es ist nicht der Moment für historische Bilder von Hände schüttelnden Kombattanten, die wieder Freunde sind. 17 Stunden haben sie miteinander gerungen. Eine Einigung haben die 19 Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone erreicht.

Aber das große Wort wagt noch niemand auszusprechen: "Griechenland ist gerettet." "Wir haben das Beste erreicht, was möglich war", sagt ein sichtlich abgekämpfter griechischer Premierminister Alexis Tsipras , als er das Brüsseler Tagungsgebäude verlässt. Und er spricht von einem "gerechten Kampf ". "Es gibt keine Gewinner und keine Verlierer", unterstreicht EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. "Ich denke nicht, dass das griechische Volk gedemütigt wurde und ich denke nicht, dass die Europäer ihr Gesicht verloren haben."

Es sind die Schlussszenen einer Nacht, die Europa in mehrere Lager zerrissen und dann am Ende wieder zusammengeführt hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel , der man die Strapazen der vielen Schlachten dieser Stunden nicht ansieht, bilanziert ebenfalls überraschend nüchtern: "Die Vorteile überwiegen die Nachteile." Nach allem, was man nun beschlossen habe, "glaube ich, dass Griechenland auf den Wachstumspfad zurückkehren wird." Immerhin gebe es den "großen Wunsch der Griechen, im Bereich des Euro weiter Mitglied zu sein". Doch der lange Weg zu diesem "Agreekment", wie Ratspräsident Donald Tusk am Morgen salopp die Verständigung aus den englischen Wörtern greek (= griechisch) und agreement (= Einigung) neu bastelte, war nicht nur einfach lang.

Schon kurz nach Mitternacht notierte ein hoher EU-Diplomat "Die Atmosphäre ist geradezu feindselig." Beobachter berichteten von lauten und scharfen Auseinandersetzungen - vor allem an die Adresse Merkels und ihres Finanzministers Wolfgang Schäuble . "Entmachtung der griechischen Regierung", "Entwürdigung des hellenischen Volkes" - all das seien noch die harmloseren Vorwürfe gewesen, weil die Vertreter Berlins keinen Handbreit von ihren Forderungen abweichen wollten.

Das Ergebnis spiegelt den Hintergrund der Vorwürfe wieder: Premier Alexis Tsipras musste unterschreiben, praktisch alle Gesetze wieder einzukassieren, die er seit seinem Amtsantritt im Januar erlassen hat und die einer Sanierung Griechenlands im Weg stehen könnten. Bis spätestens morgen muss er dafür sorgen, dass sein Parlament die Reform der Mehrwertsteuer, den Umbau des Justiz- und Rentensystems sowie Teile der Rentenreform absegnet, die Unabhängigkeit der griechischen Statistikbehörde Elstat wiederherstellt und die EU-Regeln zur besseren Kontrolle des Finanzsystems umgesetzt werden. Erst wenn Tsipras bei dieser Operation Vollzug melden kann, werden die nationalen Parlamente um einen Verhandlungsauftrag für ein drittes Hilfspaket in Höhe von 82 bis 86 Milliarden Euro gebeten. "Lass es sein, komm nach Hause, und wir halten Neuwahlen ab", flehte der Athener Arbeitsminister seinen Chef Alexis Tsipras an, diesen Forderungen nicht zuzustimmen. "Mit der Pistole am Kopf sagt man zu allem Ja", notierte später ein Tsipras-Mitarbeiter im Kurznachrichtendienst Twitter . Aber es waren keineswegs nur die deutsche Kanzlerin und ihr Finanzminister, die den griechischen Premier auf Linie brachten. Die Slowakei, Slowenien, die baltischen Staaten, die Niederlande, Finnland - deren Regierungschefs mauerten und wollten lange überhaupt keine Einigung. Noch am Montagmorgen um kurz vor acht Uhr bemerkte Parlamentspräsident Martin Schulz : "Es steht Spitz auf Knopf. Da kann die Euro-Zone auseinanderfliegen."

Dass dies nicht geschah, lag am Ende wohl am Verhandlungsgeschick des Ratspräsidenten, aber auch der Achse Berlin-Paris. Merkel und der französische Staatspräsident François Hollande blieben einerseits hart, gingen aber dennoch auf Tsipras zu. Das betrifft auch den umstrittenen Treuhandfonds, die vielleicht wichtigste Neuerung. In diesem Fonds soll Griechenland seinen Staatsbesitz bündeln und unter Aufsicht der Geldgeber verkaufen, um Schulden abzutragen. 50 Milliarden Euro sollen so in den nächsten drei Jahren zusammenkommen.

Das Entgegenkommen besteht darin, dass Athen 12,5 Milliarden Euro für Investitionen in die eigene Wirtschaft abzweigen darf. Außerdem signalisierte man Tsipras, bei den Rückzahlungen der Darlehen, für die die Euro-Partner geradestehen, noch längere Laufzeiten und niedrigere Zinsen zu akzeptieren. Das ist zwar kein Schuldenschnitt im klassischen Sinne des Wortes, wirkt aber genauso. "Der Grexit ist vom Tisch. Das ist die Nachricht des Tages", sagte ein EU-Diplomat nach dem erfolgreichen Ende.

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