Der letzte Auftritt des Löwen

Washington/Boston. Niemand hat es eilig beim Abschied von Edward Kennedy. Nicht die Bürger von Massachusetts, die über Stunden im strömenden Regen ausharren, um ihrem verstorbenen Senator entlang des Wegs zur "Mission Church" in Boston die Ehre zu erweisen

Washington/Boston. Niemand hat es eilig beim Abschied von Edward Kennedy. Nicht die Bürger von Massachusetts, die über Stunden im strömenden Regen ausharren, um ihrem verstorbenen Senator entlang des Wegs zur "Mission Church" in Boston die Ehre zu erweisen. Nicht die Kollegen und Mitarbeiter auf dem Capitol Hill, die in der schwülen Sommerhitze Washingtons geduldig auf die Ankunft des Trauerzuges warten. Nicht Ehefrau Viktoria und der Kennedy-Clan, die ihren Patriarchen im Sonnenuntergang an der Seite seiner Brüder John und Robert zur letzten Ruhe betten.

Drei Stunden später als geplant schießt die Ehrengarde auf dem Militärfriedhof von Arlington schließlich Salut, bläst der Trompeter ein melancholisches Lebewohl, spendet Kardinal Theodore E. McCarrick den letzten Segen, bevor die Familie ganz privat am schlichten Holzsarg Abschied nimmt. Mit weißen Rosen und vielen Tränen. Kein Staatsbegräbnis, aber der letzte große Auftritt eines Politikers, dessen Begräbnis das sozialen Gewissen der Nation aufrütteln sollte.

Mit einer sorgfältig durchdachten Choreografie. Von der Auswahl der Kirche in einer ehemals irisch-katholischen Arbeiternachbarschaft, die bis heute ein sozialer Brennpunkt ist. Über den Zwischenstopp auf dem Capitol Hill, wo er über 46 Jahre lang im Senat an jeder Sozialreform mitwirkte, bis hin zu der Begräbnisstätte an der Seite seiner ermordeten Brüder, deren optimistische Vision eines besseren Amerika er voranbringen wollte.

Auch die Bitte an US-Präsident Barack Obama, die Totenrede zu halten, trägt die Handschrift des engagierten Bürgerrechts-Streiters. Der Patriarch des Kennedy-Clan übergab dem schwarzen Hoffnungsträger bereits mit seiner Unterstützung im Wahlkampf den Stab. Dass Obama in der "Mission Church" unmittelbar nach den Söhnen Edward Junior und Patrick spricht, macht ihn nun zum Familienmitglied - einen schwarzen Kennedy.

Der Präsident beschreibt den Aufstieg des jüngsten von neun Kindern zum Patriarchen der irisch-katholischen Familie, deren Engagement die Dominanz des weißen Protestantismus in den USA beendete. Ein komplexer Lebensweg, auf dem der gewaltsame Tod seiner drei älteren Brüder, die Krebsleiden seiner Kinder Kara und Edward und ein überlebter Flugzeugabsturz nur drei der vielen tragischen Stationen sind.

Statt zu verbittern, machte der letzte Thronfolger der Kennedys den Einsatz für soziale Gerechtigkeit zur Lebensaufgabe. Die Welt werde sich, so Obama, "an einen Champion für diejenigen erinnern, die selber keinen hatten". Der Präsident setzt vor den 1400 Trauergästen - darunter seine Vorgänger George W. Bush, Bill Clinton, Jimmy Carter - einen persönlichen, nicht parteiischen Ton. "Wir trauern um ihn, weil wir diesen freundlichen und zarten Helden lieben." Bewegend schildert Kennedys ältester Sohn und US-Repräsentant Patrick, wie ihm sein Vater half, sein schweres Kindheits-Asthma zu überwinden. Sein jüngerer Bruder Edward, der als zwölfjähriger Knochenkrebspatient ein Bein verlor, rührt viele zu Tränen, als er erzählt, wie er mit "Dad" vor einem vereisten Hügel stand und nicht wusste, wie er mit seiner neuen Prothese und dem Schlitten hinaufkommen sollte. "Er hat mir beigebracht, dass nichts unmöglich ist."

Wie ansteckend der ungebrochene Optimismus Kennedys über den Tod hinaus bleibt, stellt Robert Byrd (91) unter Beweis. Selber todkrank lässt es sich der dienstälteste Senator nicht nehmen, im Rollstuhl auf den letzten Stopp seines Kollegen auf dem Capitol Hill zu warten. Gekommen sind auch mehr als tausend frühere Mitarbeiter. "Der Traum lebt weiter", hat einer auf ein Pappschild geschrieben, das er hochhält, während sich der Trauerzug Richtung Arlington in Bewegung setzt.

Nach der Beisetzung im Familienkreis bleibt das Gefühl zurück, an diesem historischen Tag sei das Ende einer Ära besiegelt worden. Für jedermann sichtbar an den Gräbern der drei Kennedy-Brüder, die nun nebeneinander auf dem Militärfriedhof ruhen.

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