Der Kultur-Manager

Saarbrücken/Frankfurt · Eine Künstlerseele war er schon immer. Heute unterstützt Thomas Girst die Hochkultur in aller Welt. Der Saarländer ist Chef der Kulturförderung beim Autobauer BMW.

 Vom Saarland in die Welt: Thomas Girst wuchs in Saarbrücken auf, machte dann Karriere. Die Heimat hat er immer im Herzen. Fotos: häberlein & mauerer/BMW

Vom Saarland in die Welt: Thomas Girst wuchs in Saarbrücken auf, machte dann Karriere. Die Heimat hat er immer im Herzen. Fotos: häberlein & mauerer/BMW

Als Gymnasiast war er eine ziemlich auffällige Erscheinung. Nicht auszuschließen, dass sich heute, 30 Jahre später, mancher Mitschüler des Saarbrücker Rotenbühl-Gymnasiums immer noch an Thomas Girst erinnert. Nannte man ihn einen Snob? Auf jeden Fall war er "der Typ mit dem Stock": Denn er ging am St. Johanner Markt im Frack des Großvaters spazieren und schwang dazu - Salvador Dalí inspirierte ihn - ein elegantes Flanierstöckchen. Eine Künstlerseele. Wenn andere Jungs ins Totobad zogen, um Mädels anzubaggern, saß Girst in seinem Zimmer und erklomm einen literarischen Himalaya: Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Kurz drauf entflammte er für eines der größten Rätsel der Kunstgeschichte, den Vater der Konzeptkunst, Marcel Duchamp. Schließlich gab Girst eine originelle Literaturzeitschrift in einer Schachtel heraus, "Die Außenseite des Elementes", und organisierte im Saarbrücker Filmhaus ziemlich abgedrehte Lesungen - "Pflegeleichte Literaturausschreitungen" -, die Dada-Happening und Studentenulk zusammenbrachten.

Wie stellt man sich die Karriere eines solchen Mannes vor? Sicher nicht so - rasant und effizient. Mit 32 Jahren war Girst Chef der BMW-Kulturförder-Abteilung, die jährlich schon mal geschätzte 20 Millionen Euro ausgibt und die "most powerful people" des weltweiten Kunstbetriebs zu Partnern hat: das Guggenheim in New York, die Mailänder Scala, das Bolschoi-Theater in Moskau, das Centre Pompidou in Paris. Dort rollt man Girst und BMW den roten Teppich aus. Wie schafft man das? Mit einem Studium der Kunstgeschichte, Amerikanistik und Germanistik in Hamburg, einem DAAD-Stipendium an der New Yorker Universität und durch die Mitarbeit bei einem berühmten Harvard-Professor. Doch Wissenschaft allein reicht nicht. Girst arbeitete parallel als Publizist, unter anderem für die "taz", als Kurator und Buchautor, und erwarb den Ruf eines Duchamp-Spezialisten. Bis heute ist Girst als Dozent unter anderem an der Akademie der Bildenden Künste München tätig und schreibt weiter Bücher, etwa "The Duchamp Dictionary" oder "100 Secrets of the Art World". Da darf man schon mal tief beeindruckt sein, bevor man diesen Mann trifft, der 2016 dann auch noch zum "europäischen Kulturmanager des Jahres" gewählt wurde. Kurz nach dem ersten Händedruck ist dies alles jedoch wie weggefegt: Girst kommuniziert entspannt, geradezu herzlich, ohne jedes intellektuelle Auftrumpfen. Trotzdem hat er Kants "Kritik der reinen Vernunft" parat, wenn's drauf ankommt. Auffällig und angenehm ist, mit wie wenig PR-Floskeln der BMW-Manager auskommt und wie differenziert er das Kulturengagement der Wirtschaft betrachtet. Da bezahlt BMW offensichtlich einen für seinen eigenen Kopf.

Wir treffen uns in Frankfurt, im Café des Städel-Museums. Girst ist mit dem Zug aus München angereist, wo er mit seiner Frau, einer Professorin für Kommunikations- und Grafikdesign, und drei Kindern lebt. Am Tag danach geht es nach Bologna, dann nach Hongkong und Peking - eine ganz normale Arbeitswoche. Jetlag kennt Girst nicht, Fliegen erlebt er als eine Auszeit, als Geschenk: Stundenlang vertiefe er sich in Bücher, erzählt er.

Bevor wir überhaupt über seinen Job sprechen, wirft sich Girst mit sichtlichem Vergnügen ins Thema alte Heimat. Girst, 1971 in Trier geboren, wechselte mit seinem Vater, einem Manager der Bundesbank, 1983 ins Saarland, seine Mutter Anita wurde später CDU-Landtagsabgeordnete.

Er trage das Saarland "im Herzen spazieren", sagt er, und dies beobachte er auch bei anderen: "Als Saarländer, der nicht mehr im Saarland lebt, ist man geneigt, alle Saarländer, die man trifft, als sympathisch zu erachten." Also hat er Freundschaft geschlossen mit Thomas Hayo, der aus Bexbach stammt, in New York lebt und als Juror in Heidi Klums "Germany's next Topmodel" zur bundesweiten Größe geworden ist. Auch den angesagten Berliner Schauspieler Mark Waschke mit Friedrichsthaler Wurzeln zählt Girst zu seinen Freunden, wird zu dessen Filmpremieren eingeladen. Dort amüsiert er sich dann fürstlich, wenn er erzählen kann, dass "Waschke nur die B-Besetzung des Raben Abraxas war", und er, Girst, der A-Mann. Denn beide machten nicht nur zusammen Abitur, sie standen auch zusammen auf der Bühne.

Die alte Heimat ist für Girst aber mehr als ein Erinnerungsort, das Saarland ist ihm "ein Refugium". Viele erlebten das ebenso, meint er. Jährlich treffe sich der Abi-Jahrgang beim Saarbrücker Nauwieser Fest oder auf dem Weihnachtsmarkt. Und dann sind da die Ausflüge zum Restaurant Woll hoch nach Spichern, die Einladungen zu Klaus Erfort, das Mittagssüppchen am Ilseplatz. Girst liest "grundsätzlich alles über das Saarland", nicht immer mit Vergnügen. Die Saarbrücker Museums-Affäre oder die gefloppte Völklinger Fischzucht - "mit solchen Nachrichten tut das Land sich nichts Gutes", meint er. Der Image-Aufschwung werde zu oft gestört. Was kann die Kultur leisten? Die Lebensqualität steigern. Doch mit Standortmarketing-Ansprüchen überfordere man die saarländischen Kulturinstitutionen, erklärt der Kulturmanagement-Experte. Aus eigener Kraft schaffe keine den großen Wurf, mit dem man überregional wahrgenommen werde. Girsts Tipp: starke Kooperationspartner suchen. Genau dieser Strategie folgt das BMW-Kulturengagement.

 Ganz nah dran: Seine Arbeit im Kultursponsoring bringt Thomas Girst (r.) in Kontakt mit den Weltstars der Branche – wie US-Künstler Jeff Koons.

Ganz nah dran: Seine Arbeit im Kultursponsoring bringt Thomas Girst (r.) in Kontakt mit den Weltstars der Branche – wie US-Künstler Jeff Koons.

Girst ist kein Freund des klassischen Kultursponsorings, einem Geld-Image-Transfer. Er vermeidet es, auf dem Kunst- und Kulturmarkt Events einzukaufen, als sei er beim Discounter. Jeder Museumschef, jeder Opernintendant suche nach einer Ko-Finanzierung seines Projektes: "Es geht dort zu wie auf dem Wühltisch." 2000 Anfragen dieser Art erreichen Girst und seine vierköpfige Mannschaft pro Jahr. Doch solcherart Förderung mache ein Unternehmen zu einer austauschbaren Cash Cow, dabei habe BMW weit mehr zu bieten: Netzwerke, Know-how, Kompetenz. Girst schätzt die Interaktion mit den Kulturmachern, ersinnt mit ihnen gemeinsam neue Formate jenseits des Eintagsfliegen-Glamours: die kostenlosen Trafalgar-Square-Konzerte des London Symphonie Orchestra oder das "BMW-Guggenheim Lab", ein wanderndes Stadtentwicklungs-Forschungslabor, das in Berlin, New York und Mumbai Station machte. "Ich will proaktiv sein und nicht nur reagieren", sagt Girst. Anders gesagt: Er will kreativ sein. Das liegt dann doch nicht so weit weg von dem, was man von einem einstigen Saarbrücker Künstler-Anwärter erwarten würde.

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