Der Kaiser

München · Viel, sehr viel Glück hat Franz Beckenbauer in seinem Leben gehabt. Das sagt der Mann, der eine der größten Karrieren des Sports erlebt hat, von sich selbst. Glücklich wird er heute an seinen Geburtstag aber wohl nicht sein.

Er hat es oft gehört. Er, Franz Beckenbauer , habe viel Glück gehabt in seinem Leben. Und er streitet es ja auch nicht ab, er hat es nie getan. "Ja, sicher", sagte Beckenbauer deshalb in der Dokumentation, die am vergangenen Sonntag in der ARD ausgestrahlt wurde, "natürlich" sei er das, ein vom Glück verwöhntes Sonntagskind. "Alle Sonntage der Welt sind in mir vereint", bestätigte er da, "klar, wenn man so ein Leben hat, in diesen 70 Jahren, angefangen aus dem Nichts kommend." Glück gehabt?

Vieles von dem Glück, das ihm widerfahren ist, sofern es wirklich Glück war, hätte Beckenbauer vermutlich gerne eingetauscht in den vergangenen Wochen. Zwei Monate nach dem Ende der Dreharbeiten zu der Doku verstarb am 31. Juli sein drittgeborener Sohn Stephan im Alter von 46 Jahren an einem Hirntumor. Beckenbauer war mit ihm zu den besten Spezialisten gereist, doch nichts und niemand konnte dem früheren Spieler des 1. FC Saarbrücken helfen. Am Ende blieb dem Vater nur, den Sohn in den Tod zu begleiten.

Daher ist der 70. Geburtstag wohl einer der traurigsten, den Beckenbauer je erlebt hat. Mit dem Tod ist er bislang eher gelassen umgegangen. "Der kommt irgendwann, und keiner kann sich verstecken", hat er gesagt, und auch: "Du musst den Tod als Freund begreifen, der dich in ein anderes Leben begleitet." Es ist anzunehmen, dass er den Tod des Sohnes ein wenig anders einordnet; eines Sohnes, über den und dessen Brüder er gesagt hat, er hätte ihnen ein besserer Vater sein sollen.

Wenn Beckenbauer über Glück gesprochen hat, dann meinte er in der Regel, dass er meist zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Doch es ist mitnichten so, dass ihm alles zugeflogen ist, dass aus dem begnadeten Fußballer der "Kaiser", später der erfolgreiche Teamchef, eine "Lichtgestalt", der OK-Chef der WM 2006 und der Gottvater des "Sommermärchens" wurde. Nur, dass während der WM 2006 fünf Wochen lang die Sonne schien, dafür konnte er nichts.

Tatsächlich hat Beckenbauer viele Entscheidungen aus dem Bauch heraus getroffen. "Es waren immer Schritte, die ich gemacht habe, ohne darüber nachzudenken, ob es mir etwas bringt oder nicht", beteuerte er. Für Außenstehende sah es so aus, als werde alles zu Gold, was der "Kaiser" anfasst. Doch in Wahrheit ist Beckenbauer keiner, der einfach sagt: "Schau'n mer mal." Erfolg, betonte er, "ist auch vom Glück abhängig", aber: "Vor allem steckt harte, konsequente Arbeit dahinter. Glück muss man sich erarbeiten."

Sein Leben, das hat Beckenbauer oft gesagt, sei "perfekt" gelaufen, und wenn er wiedergeboren werden sollte, "dann als Beckenbauer". Was häufig untergegangen ist: Dieses Leben ist auch von zahlreichen Brüchen gekennzeichnet. Er hat zwei gescheiterte Ehen hinter sich und ein paar Beziehungen. "Die privaten Trennungen kann man als Scheitern bezeichnen", gab er zu. Mit seiner dritten Frau Heidi hat er als Mittfünfziger noch zwei Kinder bekommen - zumindest ihnen will er ein guter Vater sein.

Dass er für seine Fehltritte nicht groß verurteilt wurde, hat mit seiner Art zu tun. Ein Spruch von Beckenbauer, etwas Schmunzeln, viel Gelächter, und alles scheint plötzlich nur noch halb so wild. "Der Liebe Gott freut sich über jedes Kind", sagte er über die außereheliche Zeugung von Sohn Nummer vier. Außerdem stammt von ihm dieser Satz: "Ich hab mal einen Stammbaum machen lassen: Die Wurzeln der Beckenbauers liegen in Franken. Das waren lustige Familien, alles uneheliche Kinder. Wir sind dabei geblieben."

Nein, es lief nicht alles perfekt. Als er Teamchef wurde, dachte er noch zu sehr wie ein Spieler; mit der Rolle eines Strategen, der die Dinge nur noch von außen betrachten kann, war er zu Beginn völlig überfordert. Während der WM 1986 in Mexiko etwa zog er über seine Mannschaft her, da wurde erkennbar, dass er bei aller Geduld, die er dem Mann von der Straße bei der Bitte nach einem Autogramm wie selbstverständlich entgegenbringt, auch so sein kann: aufbrausend, cholerisch, verletzend.

Auch ein paar seiner Entscheidungen oder Ansichten sind fragwürdig. Als Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees votierte er für Russland als Ausrichter der WM 2018. Und unterschrieb danach einen Vertrag mit den russischen Gasproduzenten . Er hält auch in Treue fest zu Präsident Joseph S. Blatter. Und dann diese Sätze zu Katar, dem WM-Gastgeber 2022: "Ich habe noch nicht einen einzige Sklaven in Katar gesehen. Die laufen da frei rum. Ich bin oft in Katar und habe deshalb ein anderes Bild, das glaube ich realistischer ist."

Die Schattenseiten der Lichtgestalt bleiben oft im Dunkeln. Vielleicht, weil er seine Fehltritte so charmant locker wegreden kann. Vielleicht auch, weil man ihm nicht böse sein kann, weil gilt, was DFB-Präsident Wolfgang Niersbach über ihn sagt - Beckenbauer sei vor allem eines: "Ein wunderbarer Mensch."

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HintergrundEinige Fakten aus dem Leben von Franz Beckenbauer :90 Mark verdiente er 1959 im Monat als Versicherungs-Lehrling bei der Bayrischen Versicherungsbank/Allianz.Auf 160 Millionen Euro wird sein Vermögen heute geschätzt.Im Kaiserweg in Oberndorf lag sein früher Wohnsitz. SC München war der erste Verein, für den er spielte.Auf Platz sieben der deutschen Hitparade landete 1966 seine Schallplatte "Gute Freunde kann niemand trennen".Der "Kaiser": Erstmals wird Beckenbauer nach dem DFB-Pokalspiel der Bayern gegen Schalke 04 am 14. Juni 1969 von den Medien so beschrieben, um die Bezeichnung von Reinhard "Stan" Libuda als "König von Westfalen" zu übertreffen. Vier Eigentore erzielte Beckenbauer in der Bundesliga.Bei allen 103 Länderspielen stand er in der Startformation. Mit 57 Auftritten ist er Rekordgast im Aktuellen Sportstudio. Alfons Beckenbauer, Franz' Onkel, spielte als erster Beckenbauer von 1931 bis 1934 beim FC Bayern.Mit 20 erschien seine Biografie "Dirigent im Mittelfeld". dpa

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