Der Jongleur

Meterhoch steht Bismarck auf seinem Sockel, in Bronze gegossen, in Sichtweite der Siegessäule in Berlin. Die rechte Hand auf der Urkunde der Reichsgründung, die linke am Säbel. 1901 ist dieses monumentale Denkmal entstanden, nur drei Jahre nach dem Tod des Reichskanzlers.

Es steht für seine damals fast kultische Verehrung. Bismarck war ein Mythos - eine Schlüsselfigur deutscher Geschichte, ein Staatsmann weltpolitischer Bedeutung. Heute jährt sich seine Geburt zum 200. Mal.

1871 und 1990, Bismarcks Bündnissystem und Deutschlands heutige Stärke in Europa , Bismarcks Russland-Politik und der jetztige Ukraine-Konflikt. Gibt es heute Parallelen zur Bismarck-Zeit, 200 Jahre nach seiner Geburt?

Deutschland als wirtschaftlich stärkste Macht in der Mitte Europas sucht seine Rolle, vor allem Merkels Pochen bei den Europartnern auf einen Sparkurs steht international massiv in der Kritik - und das im Jubiläumsjahr Otto von Bismarcks (1815-1898). Kann die Erinnerung an Bismarck, seit 1862 preußischer Ministerpräsident, von 1871 bis 1890 Reichskanzler , heute helfen? "Das geeinte Deutschland ist 1990 wie schon 1871 einmal zur wirtschaftlichen und politischen Vormacht auf dem Kontinent geworden", sagt der Historiker Christoph Nonn von der Uni Stuttgart. "Beide Male hat seine politische Führung danach jede weitere Gebietserweiterung ausgeschlossen." Nach 1871 wie nach 1990 seien seine wirtschaftlichen Verflechtungen teilweise zur Belastung für die politischen Bindungen geworden. "Unter Bismarck hat das Deutsche Reich eine nationalegoistische Wirtschaftspolitik im Interesse der deutschen Landwirtschaft getrieben. Heute betreibt die Bundesrepublik eine nationalegoistische Wirtschaftspolitik zur einseitigen Förderung der deutschen Industrie-Exporte."

Zwar dürften diese zugespitzten Vergleiche in der Historikerzunft nicht konsensfähig sein. Allerdings sieht auch der Historiker Hans-Christof Kraus "manche Parallele zu heute". Damals wie heute sei Deutschland die starke Macht in Europa . Das Interesse der Deutschen sollte darin bestehen, mäßigend und vermittelnd zu wirken - wie Bismarck als "ehrlicher Makler".

Nach der Reichseinigung von 1871, geschaffen mit "Eisen und Blut" in drei Kriegen gegen Dänemark, Österreich und Frankreich, wollte Bismarck keine weitere Expansion Deutschlands - das "saturiert" sei. Mit dem Ziel eines Gleichgewichts der Kräfte folgte eine komplizierte Bündnispolitik, auch als "Schaukelpolitik" beschrieben. Dreikaiser-Bund, Zweibund, Dreibund, Rückversicherungsvertrag mit Russland - Generationen von Schülern kennen die Schaubilder aus den Geschichtsbüchern.

Kaiser Wilhelm I. schwärmte: Bismarck sei der einzige Mann, der "mit fünf Kugeln jonglieren" könne, "von denen immer mindestens zwei in der Luft" seien. Bis heute bekannt ist der Fürst auch als "ehrlicher Makler", der 1878 als Vermittler auf dem Berliner Kongress einen neuen Krieg in Europa verhinderte.

Zu Russland hatte er ein besonderes Verhältnis. Nicht nur, dass er einst preußischer Gesandter in Sankt Petersburg war. Er sprach russisch und las auch noch als Reichskanzler russische Zeitungen. Russland spielte in Bismarcks Bündnissystem eine Schlüsselrolle - denn der Kanzler wollte vor allem eines verhindern: dass sich Russland mit dem "Erbfeind" Frankreich verbünden und das Kaiserreich in die Zange nehmen könne. Daher respektierte Bismarck, trotz gelegentlicher massiver Konflikte, die Sicherheitsbedürfnisse und Interessen des Zarenreichs.

Auch in Deutschland gibt es heute viele Politiker, die sich trotz der Ukraine-Krise für ein engeres Verhältnis und mehr Verständnis für Russland einsetzen. Bismarcks Russland-Politik als Blaupause für heute? "Ich wäre da außerordentlich skeptisch", sagt der Historiker Heinrich August Winkler - und warnt vor "deutsch-russischen Sonderbeziehungen". Vor allem in Polen und den baltischen Ländern käme dies überhaupt nicht gut an.

Die geopolitischen Verhältnisse hätten sich seit dem 19. Jahrhundert derart grundlegend geändert, dass die Rezepte Bismarcks nicht mehr taugten, meint auch der Publizist Norbert F. Pötzl. Denn: Deutschland ist fest eingebunden in ein atlantisches Bündnissystem, aus Frankreich ist längst der wichtigste Partner Deutschlands geworden. Und dies seit einigen Jahren vor allem im Kampf für den Erhalt der Eurozone. Allerdings hat Paris selbst mit Wirtschafts- und Strukturproblemen zu kämpfen - und so wird über Deutschland als neue Hegemonialmacht in Europa diskutiert.

Die Debatte setzte bereits nach der Wiedervereinigung von 1990 ein, mit Blick auf Ängste im Ausland vor dem wiedererstarkten Deutschland in der Mitte Europas. Und immer wieder fiel auch der Name Bismarcks. Deutschland sei dabei, seinen Platz in Europa und der Welt neu zu finden, sagt der Historiker Carsten Kretschmann von der Uni Stuttgart. "Das verändert auch unseren Blick auf Bismarck, es entkrampft ihn, befördert aber auch neue Gefahren: nämlich so zu tun, als könne Bismarcks Handeln, und hier in erster Linie die Außenpolitik, in irgendeiner Weise als Blaupause für die deutsche Diplomatie der Gegenwart dienen. Das ist ganz sicher nicht der Fall."

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