Der isolierte Volksversteher

Sigmar Gabriel glaubt immer, besser als alle anderen Sozialdemokraten die Gefühle der Normalbürger erfassen zu können. Im Fall Griechenland brachte ihn das jetzt allerdings in eine isolierte Lage. Denn beide Flügel, links wie rechts, sehen es anders.

Im Unterschied zur Union, wo es echten Widerstand gegen ein drittes Rettungspaket gibt, wollen bei der SPD fast alle den Griechen noch einmal eine Chance geben. Gabriel hingegen sah nach der Volksabstimmung das Ende schon erreicht.

"Deshalb ist für die SPD klar: Es gibt auf der Grundlage dieses Referendums keine neuen Milliarden-Hilfsprogramme der Euro-Zone für Griechenland." Dieser unmissverständliche Satz stand laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" auf einem Papier, das Gabriel nach der SPD-Präsidiumssitzung am Montag vor der Presse verlesen wollte. Und das erhebliche Debatten in dem Spitzengremium auslöste. Teilnehmer bestätigten die Darstellung. Schon am Sonntagabend hatte der Vorsitzende mit der Formulierung, Griechenland habe nun alle Brücken eingerissen, den Kurswechsel vorbereitet. Die "Bild"-Zeitung jubelte bereits: "Gabriel härter als Merkel".

Doch mit vereinten Kräften brachten die Sitzungsteilnehmer den Vorsitzenden wieder von dieser Aussage ab. Auch im etwas größeren Parteivorstand, der nach dem Präsidium tagte, wurde Gabriel kritisiert. Der Außenpolitiker Niels Annen fragte dort nach der Strategie, die hinter den Äußerungen stehe, und erhielt eine Antwort, die Teilnehmer als "wenig erhellend" beschrieben. Unter anderem habe Gabriel gesagt, er habe nur ausgesprochen, "was unsere Wähler denken". In der anschließenden Pressekonferenz verzichtete der Chef aber auf eine Absage an neue Verhandlungen mit den Griechen.

Dabei hegt die Mehrheit in der SPD nicht unbedingt Sympathie für die in Athen regierenden Linkssozialisten. Alexis Tsipras habe den Militärhaushalt nicht gekürzt, die Reichen nicht stärker besteuert und die Kapitalverkehrskontrollen viel zu spät eingeführt, wurde von Linken wie Rechten gestern aufgezählt. Sympathie habe man hingegen "mit der griechischen Bevölkerung, die unter dieser Regierung leidet", so der Finanzexperte Carsten Schneider . Zudem, so das Argument eines führenden Parteilinken, dürfe nicht ausgerechnet die Europapartei SPD jene Kraft sein, die die Reißleine für die Griechen ziehe. Der Mann verwies auf das Vorbild Helmut Schmidts. Und so hörte man bei Linken wie Rechten gestern fast wortgleich den Satz, der jetzt die gültige Linie markiert: "Wir sind für ein drittes Rettungspaket, wenn die Bedingungen stimmen und die Regierung endlich entschlossen Reformen angeht." Entsprechend werde man nächste Woche im Bundestag votieren, verkündete Schneider.

Die Debatte um Gabriels Vorstoß wollte niemand mehr hochhängen. Das seien nur unterschiedliche Meinungen über die "Tonlage" gewesen, fand ein Präsidiumsmitglied. "Sigmar Gabriel hat seiner Stimmung Ausdruck gegeben", bewertete der den Linken zugerechnete Parteivize Torsten Schäfer-Gümbel den Vorgang. So wie er es selbst am Samstag mit der Twitter-Nachricht "Herr Varoufakis hat nicht alle Tassen im Schrank" auch getan habe. Entscheidend sei, erklärte Schäfer-Gümbel, dass man sich in der Linie einig sei auch im Interesse der Menschen in Griechenland. Johannes Kahrs wiederum, Sprecher der Parteirechten, fand, Tsipras' Regierung habe ja auch "ein Stück aus dem Tollhaus" aufgeführt. Kahrs befand sich gestern bei einer OSZE-Tagung in Helsinki. "Sie sollten mal hören, was die Vertreter der kleineren Länder hier so sagen", berichtete er. "Da gibt es noch ganz andere Töne."

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