„Der Ehrliche ist der Dumme“
Reichen Leuten schauen die Finanzämter in Deutschland nicht genau genug auf die Finger. Das hat die OECD bemängelt und spezielle Abteilungen für diese Klientel gefordert. Der Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, teilt zwar nicht den Vorschlag, wohl aber die Analyse, sagte er SZ-Korrespondent Werner Kolhoff.
Brauchen wir tatsächlich Spezialabteilungen, um die Steuererklärungen von reichen Leuten zu überprüfen?
Eigenthaler: Nein, es sollte kein Sonderrecht für Reiche geben. Was wir aber sehr wohl brauchen sind mehr gut ausgebildete Prüfer, die genug Zeit für solche Steuererklärungen haben. Denn wer hohe private Einkommen hat, ist einem Unternehmen vergleichbar und müsste viel häufiger intensiv kontrolliert werden.
Wie häufig ist es denn gegenwärtig?
Eigenthaler: Der Bundesrechnungshof hat schon 2010 bemängelt, dass Vermögende nur alle sieben bis acht Jahre genau überprüft werden. Dabei gibt es zwischen den Bundesländern erhebliche Unterschiede. Und an dieser Situation hat sich seitdem wenig geändert. Arbeitnehmer und Rentner werden hingegen jedes Jahr intensiv überprüft. So etwas zehrt auch an der Steuergerechtigkeit, denn die Menschen mit niedrigen Einkommen bekommen den Eindruck: Der Ehrliche ist der Dumme.
Gilt das auch für Betriebe?
Eigenthaler: Bei den Großbetrieben sind die Verhältnisse weitgehend in Ordnung. Bei den mittelgroßen Betrieben sind die Prüfungsintervalle von bis zu 15 Jahren hingegen viel zu lang.
Wie viele Steuerprüfer fehlen denn nach ihrer Einschätzung?
Eigenthaler: Die deutschen Finanzämter sind zu 20 Prozent unterbesetzt; sie können ihren gesetzlichen Auftrag, Steuern gerecht, zeitnah und gleichmäßig festzusetzen, im Grunde nicht richtig erfüllen. Es fehlen bundesweit 15 000 bis 20 000 Stellen in den Finanzämtern. Die Überlastung ist groß. Oft hängt deswegen der Haussegen schief. Die Mitarbeiter sind enttäuscht, dass sie so wenig Rückendeckung von oben bekommen.
Wie hoch ist die Summe der entgangenen Steuereinnahmen ?
Eigenthaler: Das lässt sich nur schwer schätzen. Dass wir über ein gewaltiges Problem reden, hat sich aber auch darin gezeigt, dass es in den letzten Jahren über 110 000 Selbstanzeigen von Leuten gab, die ihr Geld ins Ausland verschoben hatten. Die Steuer-CDs waren für den deutschen Steuervollzug ein Segen. Die Leute haben, oft zum ersten Mal überhaupt, gemerkt: Der Staat guckt mir auf die Finger.
Die Reichen haben viele Gestaltungsmöglichkeiten bei ihrer Steuererklärung. Müssten die Beamten nicht spezialisiert sein?
Eigenthaler: Wer Geld hat, investiert es in Immobilien, in Fonds oder in Beteiligungen, zum Teil im Ausland. Auch kann er Verluste und andere Aufwendungen geltend machen. Es gibt aus diesem Personenkreis immer sehr komplexe Steuererklärungen . Das Ganze ist sehr personalintensiv. Aber es lohnt sich. Ein einziger Betriebsprüfer sorgt im Jahr im Durchschnitt für 1,5 Millionen Euro zusätzliche Steuereinnahmen , ein Steuerfahnder für etwa eine Million und jeder, der im Innendienst des Finanzamtes sitzt, für etwa 300 000 Euro pro Jahr.
Meinung:
Politisches Kalkül
Von SZ-KorrespondentWerner Kolhoff
Wenn die Steuererklärungen mittlerer Betriebe in Deutschland nur alle 15 Jahre und die von Vermögenden allenfalls alle sieben Jahre genauer unter die Lupe genommen werden, ist das ein Skandal. Und das nicht einmal wegen des entgangenen Geldes, das auch. Es ist ein Skandal, weil dahinter politische Absicht steckt, stecken muss. Denn der Rechnungshof hat die Zustände, die jetzt die OECD thematisiert, schon früher angeprangert. Aber manche Bundesländer, in deren Hoheit der Steuervollzug liegt, sagen sich offenbar frei nach Peer Steinbrück : Besser nix von vielen Millionären, die bei uns wohnen bleiben, als X von wenigen Reichen, weil wir die anderen vergraulen. Was dabei übersehen wird: Die allgemeine Steuermoral wird bei solchen Zuständen massiv sinken. Am Ende auch auf Seiten der normalen Arbeitnehmer , die jährlich genau kontrolliert werden.