Zum Internationalen Tag der Gewalt gegen Frauen Der Aufschrei der Frauen

Tunis/Paris · Vor fast genau zwei Jahren nahm die #metoo-Bewegung international Fahrt auf. Der heutige Internationale Tag der Gewalt gegen Frauen soll auf sexuelle Belästigung und Übergriffe aufmerksam machen.

  In der arabischen Welt regt sich der Protest der Frauen gegen Männergewalt nur sehr zögerlich, wie etwa hier in Gaza.

In der arabischen Welt regt sich der Protest der Frauen gegen Männergewalt nur sehr zögerlich, wie etwa hier in Gaza.

Foto: dpa/Mahmoud Ajjour

(dpa/afp) Der Aufschrei in Tunesien beginnt mit einer heruntergelassenen Hose. Mitte Oktober, fast genau zwei Jahre nach dem Beginn der #metoo-Bewegung, teilt eine Schülerin mehrere Fotos in den sozialen Netzwerken. Ein älterer Mann mit Schnurrbart sitzt in einem Auto vor einer Schule, die Hose heruntergelassen, die Augen geschlossen. Mutmaßlich masturbiert er. Der Mann wurde erst wenige Tage zuvor als Abgeordneter ins tunesische Parlament gewählt. Er sagt später, er habe in eine Flasche uriniert.

Schnell werden die Fotos auf Twitter und Facebook geteilt. Dazu der Hashtag: #EnaZeda. #metoo in tunesischem Arabisch. In einer Facebook-Gruppe mit gleichem Namen, in der bis heute mehr als 24 000 Menschen Mitglied sind, erzählen vor allem junge Frauen von ihren Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen.

„Ich war so stolz, als ich mit 14 Jahren auf eine gute Schule gehen konnte“, schreibt Nutzerin Yosr. „Bis ich den öffentlichen Nahverkehr nutzen musste. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft meine Freundinnen und ich verbal und physisch belästigt wurden.“ Viele Frauen berichten Ähnliches. Jungs und Männer, die sich in den überfüllten Bussen und Bahnen an den Frauen reiben. Hände, die plötzlich Hintern oder Brüste begrapschen. Vorgesetzte, die sich allein mit untergebenen Frauen treffen und „Gefälligkeiten“ einfordern. Der Mann von den Fotos, die hier #metoo ausgelöst haben, hat derweil seinen Amtseid als Abgeordneter abgelegt.

Als #metoo vor zwei Jahren durch die US-amerikanische Schauspielerin Alyssa Milano immer populärer wird, geht der Hashtag um die Welt. Auf einer visualisierten Weltkugel im Internet kann man sehen, wie der Hashtag überall aufleuchtet und erst die USA, dann Europa und auch Indien zum Glühen bringt. Die arabische Welt bleibt dunkel in der Darstellung. Nur ab und an flackert ein kleines Licht in den vergangenen Jahren auf.

„Obwohl die Debatten und Lebensrealitäten vieler Frauen relativ ähnlich sind, hat es #metoo in den arabischen Ländern nicht so gegeben wie in den USA oder Europa“, sagt die Publizistin und muslimische Feministin Sineb El Masrar. Einerseits spiele da besonders die Erziehung in den Familien eine wichtige Rolle, wo schon Mädchen beigebracht werde, lieber den Mund zu halten und nicht aufzubegehren. „Andererseits haben diese Frauen, die protestieren, viel mehr zu verlieren und sind eigentlich noch mutiger als die Frauen im Westen. Es geht da um existenzielle Bedrohungen“, sagt die in Deutschland lebende Publizistin.

Das Spannende in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas sei es, dass die Frauen die #metoo-Bewegung nicht einfach kopierten, sondern sie nach eigenen Bedürfnissen weiterentwickelten. In den vergangenen zwei Jahren haben sich mehrere Hashtags in den unterschiedlichen Ländern verbreitet, die aber alle Gewalt und sexuelle Übergriffe gegen Frauen in den Blick nehmen.

Unter dem Stichwort #mosquemetoo erzählten Frauen weltweit von sexuellen Übergriffen in Moscheen oder bei der Pilgerfahrt nach Saudi-Arabien. Die Frauen wollten damit auch mit dem Klischee brechen, dass freizügig gekleidete Frauen selbst Schuld seien. „Gerade hat mir so ein widerlicher Typ außerhalb der Moschee in Mekka an den Hintern gepackt“, schrieb Nutzerin Nadwaa. „Ich war vom Kopf bis zu den Zehen verschleiert. Nicht, dass wir nicht noch einen Beweis gebraucht hätten. Es geht nicht darum, was ein Mädchen trägt.“

Im Nahen Osten und Nordafrika sind Frauen bis heute vielfach Sexismus, offener Diskriminierung und patriarchaler Bevormundung – oder Schlimmerem – ausgesetzt. Mehr als ein Drittel der Frauen hat in der Region nach UN-Angaben mindestens einmal im Leben Gewalt erlebt. Zudem heiraten 14 Prozent der arabischen Mädchen, bevor sie 18 Jahre alt sind. Auch das Weltwirtschaftsforum sieht die Region als globales Schlusslicht beim Thema Gleichberechtigung.

Aber auch in den übrigen Teilen der Welt ist die Gewalt an Frauen längst nicht gebannt. Der Internationale Tag der Gewalt an diesem Montag macht auf dieses Problem aufmerksam. Weltweit wurden 2017 laut einem Bericht des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) etwa 87 000 Frauen und Mädchen ermordet. In 58 Prozent der Fälle stammte der Täter demnach aus dem engsten Umfeld des Opfers.

Für Frauen in Afrika ist die Gefahr laut dem Bericht am größten, von ihrem Mann oder einem Familienmitglied ermordet zu werden, in Europa am geringsten. In absoluten Zahlen gibt es in Asien die meisten Opfer. 2017 wurden dort 20 000 Frauen von Personen aus ihrem engsten Umfeld getötet.

In Deutschland wurden 2017 laut einem Bericht des Bundeskriminalamtes 455 Menschen von ihrem aktuellen oder früheren Partner getötet. 80 Prozent der Opfer waren Frauen. Außerdem gab es demnach in (Ex-)Partnerschaften unter anderem 11 788 Fälle von gefährlicher Körperverletzung, 2705 Vergewaltigungen und 1564 Fälle von Freiheitsberaubung mit Frauen als Opfer.

Unter schwierigen Lebensbedingungen, wie zum Beispiel in Armut oder Krieg, nimmt die Gewalt gegen Frauen zu. Auf der UN-Liste der Länder mit der höchsten Rate von Frauenmorden stehen neben afrikanischen auch lateinamerikanische Staaten weit oben – Länder, in denen Bandenkriminalität, ethnische Gewalt, Arbeitslosigkeit und Armut herrschen. An der Spitze steht El Salvador (13,9 Morde pro 100 000 Frauen im Jahr 2017), gefolgt von Jamaika (elf Morde pro 100 000 Frauen).

Besonders hoch ist die Quote auch in der Zentralafrikanischen Republik und in Südafrika. Die tatsächlichen Zahlen liegen vermutlich höher, da die offiziellen Statistiken der einzelnen Länder teils lückenhaft sind. In vielen Kriegen wird Gewalt gegen Frauen – Vergewaltigung, Versklavung und Mord – als systematisches Mittel der Kriegsführung eingesetzt. Weltweit werden nach UN-Angaben jährlich rund 5000 so genannte Ehrenmorde registriert. Dabei töten Angehörige eine Frau, weil sie angeblich gegen religiöse oder traditionelle Sitten oder Werte verstoßen hat, zum Beispiel Sex vor der Ehe hatte. Die Opfer werden erschossen, gesteinigt, verbrannt, lebendig begraben, erstochen, erstickt oder erdrosselt – mit „entsetzlicher Regelmäßigkeit“, wie die Uno beklagt. Die Täter bleiben häufig straffrei. Die meisten „Ehrenmorde“ – etwa 1000 pro Jahr – gibt es in Indien.

  In Paris gingen am Samstag hunderte Menschen auf die Straße mit der Forderung an die Regierung, gegen häusliche Gewalt vorzugehen.

In Paris gingen am Samstag hunderte Menschen auf die Straße mit der Forderung an die Regierung, gegen häusliche Gewalt vorzugehen.

Foto: dpa/Thibault Camus
 Die Aktivistin Diana Ceballos (l.) protestiert hier in Mexiko-Stadt mit anderen Frauen. Ceballos Cousine wurde Opfer von häuslicher Gewalt.

Die Aktivistin Diana Ceballos (l.) protestiert hier in Mexiko-Stadt mit anderen Frauen. Ceballos Cousine wurde Opfer von häuslicher Gewalt.

Foto: dpa/Alicia Fernandez

Als Ursache für Frauenmorde nennt der WHO-Bericht das ungleiche Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen und den „weit verbreiteten Einsatz von Gewalt zur Konfliktlösung“.

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