„Dem Saarland droht das Schicksal eines Altersheims mit Bespaßung“

Saarbrücken · Die Gewerkschaften wollen aktiv mitreden bei der Umgestaltung von Arbeitsplätzen in Betrieben, die auf mehr Zusammenarbeit von Mensch und Roboter setzen. Im Mindestlohn und bei der Rente mit 63 bleiben sie hart.

 Einer, der mitreden will bei der künftigen Gestaltung von Arbeitsplätzen. Foto: Oliver Dietze

Einer, der mitreden will bei der künftigen Gestaltung von Arbeitsplätzen. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

. Michael Sperlich ist ein aufmerksamer Zuhörer bei der Mai-Kundgebung in Saarbrücken . Doch als Mitglied im Vorstand der Koordination Saarländischer Arbeitsloseninitiativen, der selbst viele Betroffene betreut, wirkt er sichtlich frustriert. "Glauben Sie nicht, dass nur Ungelernte zu uns kommen. Es sind längst auch Lehrer, Akademiker, viele Ingenieure und solche, die niemals geglaubt hätten, einmal arbeitslos sein zu können", sagt Sperlich unserer Zeitung. Den 1. Mai als "Tag der Arbeit" zu begehen, wie es seit 125 Jahren üblich ist, hält Sperlich auch heute für zeitgemäß. Es sei eine Gelegenheit, öffentlich aus der Sicht von Arbeitnehmern und Arbeitslosen auf Missstände in der Arbeitswelt aufmerksam zu machen. Sperlich appelliert an Arbeitgeber, mutiger zu investieren, mehr Arbeitslosen eine Chance zu geben. Die Meisten seien sehr motiviert und wollten arbeiten.

Ein junger, verbeamteter Gesamtschullehrer, der in der Zeitung nicht namentlich genannt werden will, betont, ihm selbst gehe es zwar gut, längst aber nicht jedem. Anlässe wie die Maikundgebung seien auch ein wichtiges Forum für die junge Generation. Die sei zwar stark in den sozialen Medien wie Facebook engagiert und miteinander vernetzt. Online-Petitionen bewirkten jedoch nicht das Gleiche wie eine massive Präsenz auf öffentlichen Veranstaltungen. Masse beeindrucke und symbolisiere auch Stärke, sagt der Lehrer.

Sowohl der DGB als auch das Lagezentrum der Polizei sprechen von 4000 Teilnehmern. Darunter sind auch parteiübergreifend viele Saar-Poltiker aus dem Bundes- und Landtag sowie aus dem Europaparlament. Gegenüber früherer Jahre fällt der Ton der Redner deutlich moderater aus. Zwar wird grundsätzlich Kampfbereitschaft signalisiert, falls Entwicklungen aus der Sicht der Arbeitnehmer in die falsche Richtung laufen. Jedoch suchen die Gewerkschaften heute in vielen Fragen offensichtlich auch mehr gemeinsam mit den Arbeitgebern nach konstruktiven Lösungen. Etwa, wenn es um die Gestaltung von Arbeitsbedingungen in Betrieben geht, die auf das Konzept "Industrie 4.0" setzen mit neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter. Was in der Regel auch mehr Automatisierung von Arbeitsprozessen bedeutet. Saar-DGB-Chef Eugen Roth signalisiert in seiner Rede die grundsätzliche Bereitschaft der Gewerkschaften, Entwicklungen wie "Industrie 4.0" in den Betrieben mit zu tragen. Aber eben nur, wenn die Arbeitnehmer auch aktiv einbezogen werden. In anderen Fragen bleiben die Gewerkschaften hart, etwa beim Mindestlohn oder der Rente mit 67. Auf der zentralen Kundgebung in Berlin fordert DGB-Chef Reiner Hoffmann eine grundsätzliche Debatte über den Wert der Arbeit. "Nur dann, wenn wir uns immer wieder mit dem Wert der Arbeit auseinandersetzen, kann der gesellschaftliche Zusammenhalt garantiert werden." In Saarbrücken werden Forderungen nach einem höheren Mindestlohn gestellt. "Das ist eine Frage der Würde, und Würde kennt keine Ausnahme", sagt Hauptredner Christoph Ehlscheid, Mitglied im IG-Metall-Vorstand und Bereichsleiter für Sozialpolitik. Er steht auch zur Rente mit 63. "Wer lang geschuftet hat, der sollte auch ohne Abschläge in Rente gehen dürfen." Nicht die Rente mit 63 sei das Problem, sondern eine Privatisierung der Vorsorge und die Rente mit 67. Das Rentenniveau müsse wieder angehoben werden. Ehlscheid und Roth appellieren zudem an die Bevölkerung, mehr Solidarität gegenüber Flüchtlingen zu zeigen und offener zu sein für Zuwanderung. "Wir dürfen Flüchtlinge nicht an den Rand drängen, sondern wir müssen sie in unsere Mitte holen und sie auch ausbilden. Das ist kein Akt der Gnade, sondern einer der Selbsterhaltung", sagt Roth mit Blick auf die demografische Entwicklung. "Wenn man dies nicht beherzigt, dann droht dem Saarland das Schicksal eines Altersheims mit Bespaßung", mahnt der Saar-DGB-Chef.

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