Das kaputte Leben des Reker-Attentäters

Düsseldorf · Nach dem Attentat auf die heutige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker wird nun das Urteil gesprochen. Der Attentäter sieht sich als Opfer einer politischen Verschwörung.

 Frank S. wähnte sich im Prozess als Opfer einer Intrige. Foto: dpa

Frank S. wähnte sich im Prozess als Opfer einer Intrige. Foto: dpa

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Er ist der Albtraum eines jeden Strafverteidigers: besserwisserisch, stur, aufbrausend. Rechtsanwalt Jasper Marten hat schon lange aufgegeben, seinen Mandanten Frank S. unter Kontrolle zu bringen. Der Attentäter von Köln hat seine Verteidigung oder das, was er dafür hält, selbst übernommen. Heute wird dem Angeklagten im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgerichts das Urteil verkündet. Der Staatsanwalt fordert lebenslange Haft wegen versuchten Mordes, der Verteidiger 15 Jahre.

Die Beweislage ist ziemlich klar: Am 17. Oktober 2015 liegt Henriette Reker in Köln-Braunsfeld an einem Wahlkampfstand auf dem Boden. Sie blutet aus Mund und Nase - ihr Leben hängt am seidenen Faden. Als sie einen Tag später dennoch zur Oberbürgermeisterin von Köln gewählt wird, liegt sie im Koma. Am Tatort wartet Frank S. (45) seelenruhig auf seine Festnahme. Er hat sein Ziel erreicht. Der Rechtsradikale hat sich Reker mit freundlicher Miene genähert und sie nach einer Rose gefragt. Als sie ihm die Blume reicht, zückt er, wie er es geübt hat, ein riesiges Jagdmesser, Typ Rambo III, und rammt es der 59-Jährigen in den Hals. Die Messerspitze lässt Rekers Brustwirbel splittern. Der Attentäter verfehlt die Halsschlagader nur knapp.

Der Mann ist kein unbeschriebenes Blatt. Mitte der 1990er Jahre war er in der rechten Szene aktiv. Er ist bei den Neonazi-Aufmärschen für Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß mitmarschiert. Doch bevor Frank S. zum rechten Gewalttäter wurde, war er vor allem Opfer. Mit vier oder fünf Jahren wurde er von seinen Eltern in einer Düsseldorfer Wohnung zurückgelassen. Tagelang füttert er seine jüngeren Geschwister. Als kein Essen mehr da ist, klopft er bei den Nachbarn - und kommt erst ins Heim, dann nach Bonn in eine Pflegefamilie. Dort wird er vom Pflegevater geschlagen und von der Familie ausgegrenzt. Ersatz findet Frank S. in der rechten Szene. Bald trägt er Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln, begeht eine Reihe überwiegend rechtsradikal motivierter Gewalttaten, für die er drei Jahre im Gefängnis sitzt. Er zieht nach Köln, weg von den Neonazi-Kreisen.

In der Dom-Stadt ist der Anstreicher oft arbeitslos, verkriecht sich in seiner kleinen Wohnung. Sein Tor zur Welt ist das Internet, und dort ergießt sich in den Monaten vor der Tat wegen des Flüchtlingszuzugs besonders viel fremdenfeindlicher Hass. Frank S. ist dafür empfänglich, macht die Politik für seine eigene Situation verantwortlich, allen voran Kanzlerin Angela Merkel und die in Köln für Flüchtlinge zuständige Reker. Im Prozess bestreitet er, dass er sie töten wollte, obwohl er dies nach der Tat mehreren Polizisten bekennt ("Ich hoffe, dass sie noch stirbt."). Gutachter und Zeugen hätten sich gegen ihn verschworen. Eine Weltsicht, die, so der sachverständigende Psychiater, nur noch schwer zu korrigieren sei.

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