Das Asylpaket steht – mal wieder

Berlin · Die Parteichefs Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel wollen den verheerenden Eindruck korrigieren, Schwarz-Rot kriege in der Flüchtlingskrise nichts auf die Reihe. Gestern fanden sie einen Kompromiss.

Sigmar Gabriel meint das ernst. "Ich glaube, dass es keiner glaubt. Aber die Stimmung ist gut", sagt der SPD-Chef. Er ist gerade aus dem Kanzleramt, wo er stundenlang mit Angela Merkel und Horst Seehofer beraten hat, in die nordrhein-westfälische Landesvertretung herübergefahren. Dort steht er nun gegen 19 Uhr im Foyer, verkündet die lange überfällige schwarz-rote Jetzt-aber-wirklich-Einigung auf das Asylpaket II mit dem heißen Eisen Familiennachzug .

Dabei drängt sich die Frage auf, warum drei Monate so heftig gestritten wurde. Der Kompromiss passt auf ein Blatt Papier und heißt bezeichnend: "Ergänzung des Beschlusses der Parteivorsitzenden von CDU , CSU und SPD vom 5. November 2015". Wer bei der Einigung eher Verlierer als Gewinner ist, lässt sich schon ein bisschen daraus ableiten, dass Gabriel allein vor die Kameras darf. Ihm gehört für ein paar Stunden die Deutungshoheit. Was der Vizekanzler nicht sagen kann, ist, dass die SPD eingelenkt hat.

Flüchtlinge , die in Deutschland aus humanitären Gründen befristet Schutz bekommen haben, dürfen zwei Jahre lang ihre Familien nicht nachholen. Gabriel wollte diese Härte auf ein Jahr reduzieren, Merkel trug das mit. Seehofer jedoch blieb hart. Er hat seinen Skalp bekommen, mit dem er in München ordentlich dastehen dürfte. So richtig groß ist sein Erfolg aber nicht. Schließlich stand die Zwei-Jahres-Regelung bereits Anfang November fest. Außerdem ist der Familiennachzug , der sich nun für einen Teil syrischer Flüchtlinge verschärft, eher ein Randthema - gemessen an den gewaltigen Problemen bei Asylverfahren oder Integration.

In SPD-Kreisen wird hervorgehoben, Gabriel habe durchgesetzt, dass im Rahmen "künftiger Kontingente" der EU mit der Türkei, dem Libanon und Jordanien syrische Frauen und Kinder vorrangig sicher und legal nach Europa kommen sollen. Der Schönheitsfehler für die SPD liegt im Wort "künftiger" versteckt: Ob Merkel es schafft, in Europa genug Mitstreiter für die Kontingente und ein Abkommen mit der Türkei zu bekommen, ist ungewiss. Die Regierung ist optimistisch, dass eine "Koalition der Willigen" - neben Berlin mindestens noch Österreich, die Niederlande und Schweden - zügig zustande kommt.

Als Wirtschaftsminister kann Gabriel sich freuen, dass die große Koalition es Unternehmen deutlich leichter machen will, jungen Flüchtlingen einen Ausbildungsplatz zu geben und sie an die Firma zu binden - nach der Lehre dürfen sie zunächst zwei Jahre im Land bleiben und arbeiten.

Überraschend schnell geht es nun bei der Einstufung weiterer Länder als sichere Herkunftsstaaten. Die Koalition will Algerien, Tunesien und Marokko in diese Liste mit aufnehmen und Flüchtlinge ohne Chance auf Asyl schneller abschieben. Problem ist nur, dass die Länder sie oft nicht wiederhaben wollen. Aber das kann ja dann Gegenstand eines künftigen Friedens-Flüchtlingsgipfels der Koalition sein.

Meinung:

Klimagipfel im Kanzleramt

Von SZ-KorrespondentHagen Strauß

Nach dem wechselseitigen Gemotze und dem Gerede vom Koalitionsbruch sind die Gesprächsrunden der drei Parteivorsitzenden von CDU , SPD und CSU gestern im Kanzleramt auch eine Art Klimagipfel gewesen. Derlei Termine gab es in den letzten Monaten seit Beginn der Flüchtlingskrise schon öfter. Ohne nachhaltig befriedigende Wirkung. Doch diesmal scheint den Dreien von der Koalition klar gewesen zu sein, dass keine Zeit mehr ist für parteitaktische Spielchen. Handlungsfähigkeit musste unter Beweis gestellt werden. Deswegen die Einigung beim Asylpaket II - sozusagen in letzter Minute.

Ob die beschlossenen Maßnahmen tatsächlich einen wirksamen Beitrag dazu leisten, den Flüchtlingsandrang einzudämmen, muss sich noch zeigen. Der Schlüssel zur Lösung des Problems ist das keineswegs. Der Schlüssel liegt nach wie vor woanders - in Europa nämlich.

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