Wahlparteitag gekippt Corona torpediert den Neuanfang der Linken 

Berlin · Nach der CDU hat jetzt auch die Linke ihren Wahlparteitag wegen Corona gekippt. Dabei hätte am Tagungsort Erfurt ein ungewöhnlich harmonischer Führungswechsel stattfinden können. Ob das in ein paar Wochen oder gar Monaten noch so sein wird, steht dahin.

Corona torpediert den Neuanfang der Linken 
Foto: dpa/Britta Pedersen

Mehr als 63 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner hatte die thüringische Landeshauptstadt am Dienstag vermeldet. Damit war der kritische Wert von 50 weit überschritten. Und dann häuften sich noch interne Signale, dass vor allem ältere Delegierte wegen der Ansteckungsgefahr lieber daheimbleiben wollten und man deshalb vielleicht gar nicht beschlussfähig wäre. Also zog der Vorstand der Linken die Notbremse und sagte den ohnehin schon verkürzten Parteitag am Freitag ab.

Offiziell werden nun drei Alternativen geprüft: ein zentraler Parteitag irgendwann im kommenden Jahr, ein dezentrales Treffen an bis zu 15 verschiedenen Veranstaltungsorten vielleicht noch im November und ein reiner Online-Parteitag mit anschließender Briefwahl. Alle Varianten haben ihre Nachteile. Allein im März 2021 werden in Baden-Württemberg sowie Rheinland-Pfalz neue Landtage und in Hessen neue Kommunalvertretungen bestimmt. Ein zentraler Konvent womöglich mit viel Streit kurz vor diesen Wahlen könnte linken Wahlkämpfern die Stimmung verhageln. Ein dezentrales Treffen wiederum erfordert einen enormen logistischen Aufwand und ist sehr teuer. Und eine Briefwahl schließlich kann sich über Monate hinziehen. Nach Angaben von Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler soll die nächste Vorstandssitzung am 7. November erste Aufschlüsse über den weiteren Fahrplan bringen.

Manche in der Partei sehen in diesem Schwebezustand ein Versagen der noch amtierenden Führung. Schließlich haben sich die drastisch steigenden Infektionszahlen schon länger angedeutet, weshalb man eine klare Alternative hätte vorbereiten können. Auch die Thüringer Fraktionschefin und Kandidatin für die neue Doppelspitze, Susanne Henning-Wellsow (43), ist hörbar unzufrieden. Am Mittwoch bekräftigte sie ihre Forderung nach einem virtuellen Parteitag plus Briefwahl. Dagegen soll ihre hessische Amtskollegin Janine Wissler (39) – sie ist die andere Kandidatin – intern für einen Präsenzparteitag im Frühjahr geworben haben. Es wären nicht die einzigen Gegensätze zwischen den beiden. Während Henning-Wellsow eine enge Vertraute des linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ist, betreibt Wissler in Wiesbaden harte Opposition. Regierungslinke trifft linke Rebellin.

Gemeinsam sollen sie Katja Kipping und Bernd Riexinger ablösen, die schon im August ihren Rückzug von der Parteispitze erklärt hatten. Beide führten die Linke acht Jahre lang. Mit dem Ergebnis, dass die lange Zeit offen zerstrittene Partei zwar in ruhigere Fahrwasser kam, aber in der Wählergunst eher abgebaut hat. Für die ehemalige Fraktionschefin Sahra Wagenknecht liegt die Ursache darin, dass sich die Partei von den Anliegen einfacher Bürger entfernt hat. „Das ist schon ein Armutszeugnis für die Linke, wenn sie die Armen nicht mehr erreicht“, schimpfte Wagenknecht kürzlich in der Süddeutschen Zeitung. Der Konflikt um den richtigen Kurs schwelt weiter in der Partei.

Durch das auf unbestimmte Zeit verschobene Delegiertentreffen ist nach Einschätzung des Berliner Politikforschers Oskar Niedermayer nun ein „Machtvakuum“ entstanden. „Der Parteitag sollte ja auch eine Grundsatzentscheidung treffen, ob man regierungswillig ist oder nicht. Reformer und Ideologen liegen hier noch sehr weit auseinander“, so Niedermayer gegenüber unserer Redaktion. „Damit bleibt die strategische Ausrichtung der Linken weiter unklar.“

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