Debatte in der CDU Ein soziales Pflichtjahr für alle?
Berlin/Saarbrücken · Für einen Vorschlag von CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer müsste das Grundgesetz geändert werden.
(SZ/dpa) In Artikel 12 des Grundgesetzes heißt es: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“ Doch was genau heißt „herkömmlich“? Das ist offenbar Auslegungssache, denn Experten sind sich uneins. Was dagegen klar ist: Wenn der aktuelle Vorschlag von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in die Tat umgesetzt werden soll, dann müsste man auch am Grundgesetz schrauben. Der Vorschlag an sich ist nicht neu, an diesem Donnerstag hat die CDU ihn bei ihrem Werkstattgespräch erneut auf den Tisch gelegt. Aus Sicht von Parteichefin Kramp-Karrenbauer braucht Deutschland ein allgemein verpflichtendes soziales Jahr. Aber worum geht es eigentlich genau?
Die Diskussion hängt mit dem Aus für die Wehrpflicht im Jahr 2011 zusammen. Im Zuge dessen entstand der Bundesfreiwilligendienst. Der zählt nach Angaben des Bundesjugendministeriums derzeit jährlich mehr als 40 000 Absolventen. Junge Menschen müssen also nach ihrer Schulzeit keinen Wehrdienst und damit auch keinen Zivildienst mehr leisten – alles ist freiwillig. Immer mal wieder kommt deshalb die Frage hoch: Kann man den freiwilligen Einsatz für die Gesellschaft zur Pflicht machen? So könnten jedenfalls alle jungen Menschen nach der Schule zur gemeinnützigen Arbeit, sei es im sozialen, im ökologischen oder im kulturellen Bereich, für die Gesellschaft herangezogen werden. Oder eben für den Militärdienst, wenn sie das bevorzugen sollten. So schwebt es zumindest Annegret Kramp-Karrenbauer vor. Unterstützung erhält sie nicht nur von Saar-Ministerpräsident Tobias Hans. Auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus sagt: „Der Gedanke ist eigentlich ein schöner Gedanke, dass man ein Jahr seines Lebens der Gesellschaft widmet.“ Allerdings gab auch Brinkhaus zu bedenken: Die Umsetzung wird „nicht ganz einfach“. Stichwort verfassungsrechtliche Bedenken. Für eine Grundgesetzänderung wäre in Bundestag und Bundesrat jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Diese ist derzeit nicht absehbar.
In einer Analyse regt die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung an, das Wort „herkömmlich“ in Artikel 12 zu streichen oder den Artikel entsprechend zu erweitern. Als Alternative schlägt sie einen eigenen Grundgesetz-Artikel für die Dienstpflicht vor. Die Bedingung: „Die Dienstpflichten dürften die betroffenen Männer und Frauen nicht unverhältnismäßig belasten, ihren unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit nicht verletzen“, so die Analyse.
Aber bevor die Idee konkret werden kann, wird es auch innerhalb der CDU noch Diskussionen geben müssen. Man werde das Thema im nächsten Jahr vertiefen, sagte AKK am Donnerstag im Anschluss an das Werkstattgespräch in der Berliner Parteizentrale. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) forderte einen Parteitagsbeschluss. Der Wegfall von Zivildienst und Wehrpflicht habe eine Lücke hinterlassen, die bisher nicht ausreichend gefüllt worden sei. „Unser Ziel sollte sein, dass möglichst alle jungen Menschen ein Gesellschaftsjahr absolvieren. Ob freiwillig oder per Pflicht, das diskutieren wir nun gründlich und entscheiden es dann auf einem Parteitag“, sagte Spahn der „Bild“.
Klare Bedenken äußerte dagegen sein Parteifreund und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet: „Ich habe generell meine Zweifel, ob es klug ist, 18-Jährige zwangszuverpflichten, etwas Soziales zu tun“, sagte Laschet im Gespräch mit der Rheinischen Post. Bei der Schwesterpartei CSU stößt das Pflichtjahr ebenfalls auf wenig Gegenliebe. „Die CSU setzt weiterhin auf ein freiwilliges und attraktives Deutschlandpraktikum. Eine allgemeine Dienstpflicht wäre heute militärisch nicht mehr hilfreich, viel zu teuer und verschärft den Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt“, sagte Vize-Generalsekretär Florian Hahn.
Auch die Menschen in Deutschland scheinen nicht überzeugt zu sein. In einer repräsentativen Befragung, die der Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski im Sommer vorlegte, befürworten lediglich 37 Prozent ein soziales Pflichtjahr. In Ostdeutschland fiel die Zustimmung mit 47 Prozent deutlich höher aus als in Westdeutschland, wo 35 Prozent für eine Dienstpflicht sind.
Die Bürger setzten mehr auf Gemeinschaftsdienste auf freiwilliger Basis, erklärte Opaschowski: „Nicht das soziale Jahr wird mehrheitlich abgelehnt, sondern das ‚Pflicht’-Jahr: Pflicht wird als lästig und Verlust an Selbstbestimmung empfunden.“