Bundesregierung fordert Konsequenzen Nawalny-Anschlag gefährdet Nordstream II
Berlin · In Berlin werden Rufe nach Konsequenzen gegen Präsident Wladimir Putin laut. Russland weist allerdings alle Verantwortung von sich.
Nach der Mitteilung der Bundesregierung, dass der russische Oppositionelle Alexej Nawalny „zweifelsfrei“ mit dem Kampfstoff „Nowitschok“ vergiftet wurde, ist am Donnerstag in Berlin eine Diskussion über die Konsequenzen entbrannt. Dazu gehörte vor allem die Forderung nach einem Aus für das deutsch-russische Pipeline-Projekt Nordstream II.
Nur 160 Kilometer der rund 1200 Kilometer langen Röhre durch die Ostsee müssen noch verlegt werden. Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und Bewerber um den CDU-Vorsitz, brachte als Erster einen Baustopp ins Spiel. „Eine Vollendung wäre die maximale Bestätigung für Putin, seinen bisherigen Kurs fortzusetzen“, sagte der Politiker. Die Grünen forderten ebenfalls einen Abbruch des Vorhabens, für das auf russischer Seite Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) Lobbyarbeit betreibt. Auch FDP-Chef Christian Lindner sagte: „Ein Regime, das Giftmorde organisiert, ist kein Partner für große Kooperationsprojekte – auch nicht für Pipeline-Projekte.“ Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft hielt dagegen: Weitere Wirtschaftssanktionen würden nur völlig unbeteiligte Unternehmen und die russische Bevölkerung treffen.
Für die Bundesregierung wäre ein Vorgehen gegen Nordstream II heikel. Denn sie hatte immer betont, dass es sich um ein privatwirtschaftliches Projekt handele, das nicht mit anderen Fragen verknüpft werden dürfe. Erst am Dienstag wies Kanzlerin Angela Merkel erneut darauf hin. Problematisch wäre auch, dass Berlin mit einem Baustopp indirekt Donald Trump nachgeben würde, der allen an Nordstream II beteiligten Firmen mit Strafmaßnahmen droht. Die Bundesregierung hat das als völkerrechtswidrige „exterritoriale Sanktionen“ scharf verurteilt.
Politisch einfacher wären Maßnahmen gegen russische Oligarchen, die sich in Europa niedergelassen haben. Etwa das Einfrieren von Kapital oder von Immobilien. Das forderten die Grünen. Ihr außenpolitischer Sprecher Omid Nouripour sagte: „Diesen Garanten des Systems Putin muss jetzt umgehend der Stecker gezogen werden.“ Der Fall Nawalny scheint in Berlin die Stimmung gegenüber Russland zum Kippen bringen. Denn zuvor gab es bereits den Mord an einem georgischen Putin-Gegner im Berliner Tiergarten und 2018 den Gift-Anschlag auf den Ex-Agenten Skripal in London.
Aufhorchen ließ eine Erklärung des einflussreichen CDU-Abgeordneten Johann Wadephul: „Deutschland und die Europäische Union müssen die Beziehungen zu Russland grundsätzlich überdenken“, sagte der für Außenpolitik zuständige Unions-Fraktionsvize. „Russland kann kein vertrauenswürdiger internationaler Partner sein.“ Hintergrund ist die Einschätzung, dass die russische Regierung oder gar Putin selbst hinter dem Anschlag stehen. Auch CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt erklärte, es liege „auf der Hand, dass dieser Giftstoff nur mit Hilfe der russischen Regierung beschafft und hergestellt werden konnte“. FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff sagte, angesichts der herausragenden Rolle Nawalnys könne es sich nicht um eine unkontrollierte Aktion gehandelt haben. Nur FDP-Vize Wolfgang Kubicki sah das anders. „Es gibt auch Kräfte in der russischen Administration, die teilweise ein Eigenleben führen“, erklärte er.
Die russische Regierung wies indes jede Schuld von sich. „Es gibt keinen Grund, den russischen Staat zu beschuldigen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow und warnte den Westen eindringlich vor übereilten Schlussfolgerungen und dem Verhängen von Sanktionen. Die wollen auch die Linken in Deutschland verhindern. „Einen Kalten Krieg 2.0 darf es nicht geben“, erklärte die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen. Allerdings forderte auch sie von den russischen Justizbehörden eine umfassende Aufklärung des „Verbrechens“.