Brüssel will gradlinig werden

Brüssel · Offene Ölkännchen, wasserarme Duschköpfe oder krumme Gurken: Mit unnötigen Gesetzesvorschlägen will sich die Union unter der Regie von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker künftig zurückhalten.

 Einfach nur gerade: Bei diesen Gurken gibt es bestimmt nichts mehr zu regulieren. Foto: ZB

Einfach nur gerade: Bei diesen Gurken gibt es bestimmt nichts mehr zu regulieren. Foto: ZB

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Kaum eine EU-Verordnung ist berühmt-berüchtigter als die Gurkenkrümmungsverordnung. Sie steht sinnbildlich für den Brüsseler Bürokratiewahn, dem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nun endgültig den Garaus machen will. "Die Kommission kann und sollte sich nicht in jedes Problem in Europa einmischen", heißt es in einem Papier der EU-Behörde, das Vizepräsident Frans Timmermans gestern vorstellte. Mit einem Programm zur besseren Regulierung will das Juncker-Team den Gesetzgebungsprozess nicht nur transparenter gestalten, sondern bereits im Vorhinein die Folgen von Verordnungen genauer prüfen.

Versuche, der Überregulierung Herr zu werden, gab es mehrere. 2003 trafen die EU-Institutionen eine Übereinkunft für eine "bessere Gesetzgebung" - ohne merkliche Besserung. Junckers Vorgänger José Manuel Barroso verordnete der Gesetzgebungsmaschinerie schließlich ein Besserungsprogramm. Mit REFIT (Regulatory Fitness and Performance) ließ er seine Mitarbeiter Reformen durchforsten - und auf ihre Sinnhaftigkeit überprüfen. Die Flut an neuen Gesetzesentwürfen hielt jedoch an.

Das Parlament verkomplizierte mit mancher Zusatzklausel einen ohnehin schon verschraubten Vorschlag der Kommission, die Mitgliedstaaten führten ihn mit nationalen Extrabedingungen ad absurdum. Ihre Zustimmung braucht Juncker, will er seinen Vorschlag für ein neues interinstitutionelles Abkommen durchsetzen.

Seine Umstrukturierung der Kommission, nach der sieben Vizepräsidenten größere Teilbereiche koordinieren, reduzierte die frühere Gesetzesflut merklich: Nur 23 Gesetzesinitiativen sind für dieses Jahr vorgesehen. Der Grund: Die Kommissare können nur dann neue legislative Initiativen auf den Weg bringen, wenn sie die Zustimmung des zuständigen Vizes bekommen.

Bereits Anfang des Jahres präsentierte Timmermans, zuständig für den Bürokratieabbau, eine "Müllliste" von Verordnungen, die seit Jahren in den Brüsseler Mühlen feststecken. Entweder weil sich Parlament und Mitgliedstaaten nicht einig wurden, oder weil sie schlicht unnötig waren. Solche Fehlschritte will man künftig vermeiden. Onlinekonsultationen sollen nicht nur vorab, sondern während des "gesamten Lebenszyklus" eines Gesetzes möglich sein. Bürger und Interessenvertreter können jederzeit Vorschläge auf einer Webseite der Kommission abgeben. Eine neue Plattform unter der Schirmherrschaft des Niederländers soll Experten aus Wirtschaft und Gesellschaft zusammenbringen. Sie sollen die Auswirkungen eines Gesetzes vorab prüfen. Nur, wenn sie zu einem positiven Ergebnis kommen, darf der Vorschlag an Parlament und Rat, in dem die Mitgliedstaaten vertreten sind, weitergegeben werden. Im Parlament begrüßt man den Schritt der Kommission: "Kleinteilige Verordnungen und unnötige Gesetze haben leider zu oft zu bürokratischem Wildwuchs geführt. Europäische Gesetze von Anfang an auf Effektivität hin zu überprüfen, schafft Transparenz und mehr Akzeptanz", begrüßt der EU-Abgeordnete Markus Ferber (CSU ) den Schritt, warnt aber gleichzeitig vor einem "neuen Beamtengremium": "Das Ganze hat nur Sinn, wenn Vertreter aus nationalen Normenkontrollräten mit am Tisch sitzen. Denn sie wissen, an welchen Stellen bei der Umsetzung der europäischen Gesetze der Schuh drückt."

Meinung:

Stoiber hat es vorgemacht

Von SZ-KorrespondentinMirjam Moll

Die Arbeitsgruppe zur Entbürokratisierung von Edmund Stoiber hat gezeigt, wie viel man einsparen kann, wenn man die Konsequenzen neuer Regularien beachtet und bereits durchgesetzte Reformen entmottet. Doch die Kommission kann man für die Bürokratie nicht allein verantwortlich machen. Mit ihren Änderungsvorschlägen haben sowohl das EU-Parlament als auch die Mitgliedstaaten oftmals eine gesetzliche Zwangsjacke produziert. Wenn Europa einen funktionierenden Binnenmarkt schaffen will, zu dem nun auch ein digitaler Binnenmarkt hinzukommen soll, müssen Gesetze in der Union anders funktionieren. Nämlich so, dass sich Unternehmen an einer einheitlichen Regelung orientieren können, statt 28 nationale Finessen durchblicken zu müssen.

Zum Thema:

Auf einen Blick Ölkännchen: Die EU-Kommission wollte 2013 offene Ölkännchen in Restaurants verbieten. Auf den Tischen sollten nur noch Einweg-Ölflaschen stehen, damit Gäste an der Flasche das Öl erkennen konnten. Nach öffentlichem Spott begrub Brüssel die Pläne. Duschköpfe: Die Ökodesign-Richtlinie der EU schreibt vor, wie viel Wasser Produkte verbrauchen dürfen, um die Umwelt zu schonen. Dabei geht es seit 2009 auch um wassersparende Duschköpfe. Krümmung: Manches stimmt auch nicht. So ist die angebliche EU-Verordnung über die Krümmung der Banane eine Legende. Allerdings gab es eine Verordnung über die Krümmung der Gurke. Später wurde sie wieder abgeschafft. dpa

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