Briten stimmen über Zukunft Europas ab
Im Brüsseler Terminkalender scheint der 7. Mai ein Tag wie jeder andere. Die EU-Außenminister werden sich treffen, heißt es, die Tagesordnung stehe noch nicht fest. Dass an diesem Tag in Großbritannien eine der Schicksalswahlen für die Union stattfindet, kann man aus den offiziellen Stellungnahmen nicht herauslesen.
Das politische Protokoll gebietet es, sich aus den innenpolitischen Angelegenheiten der Mitgliedstaaten herauszuhalten.
Dabei könnte der Wahlausgang auf der Insel die EU zumindest in eine Zerreißprobe führen. Sollte der amtierende Premier David Cameron von den konservativen Tories eine neue Regierung bilden, müsste er wohl sein Versprechen einlösen und den Briten 2017 Gelegenheit geben, in einem Referendum über Verbleib oder Austritt aus der EU abzustimmen. Eigentlich will er das selbst nicht, zog die Abstimmung aber als Joker aus dem Ärmel, als die Konservativen von den EU-Skeptikern und Rechten überrollt wurden. "Wir wollen, dass das Vereinigte Königreich auch künftig zur europäischen Familie gehört", tönten die befreundeten Regierungschefs in den zurückliegenden Monaten immer wieder. Obwohl sie wussten, dass sie sich damit erpressbar machten.
Der Oppositionsführer der Labour-Partei, Ed Miliband , hat sich dagegen klar gegen einen Volksentscheid ausgesprochen. Aber selbst bei einem Sieg der Sozialdemokraten wäre der Verbleib Großbritanniens in der EU nicht gesichert, warnen Experten. Robin Niblett, Chef der renommierten Londoner Politik-Denkfabrik Chatham House , ist überzeugt: "Ein Volksentscheid in den nächsten zehn bis 15 Jahren ist unausweichlich." Denn die Stimmung im Land sei längst umgeschlagen. Der "Brexit" - ein Kunstwort aus "Britain" und "Exit" - sei kein Schreckgespenst mehr, sondern eine denkbare Politik-Alternative.
Der Ausstieg könnte Großbritannien aber teuer zu stehen kommen. Das deklinieren die EU-Vertreter allzu gerne britischen Besuchern herunter. Von 300 Milliarden Euro Schaden, einer gravierenden Schwächung des Bankenstandortes London, einem fulminanten Einbruch der drittstärksten Wirtschaftmacht Europas ist auch in internationalen Studien die Rede. Mehr als die Hälfte aller britischen Exporte gehen in EU-Partnerstaaten. Mit einem Austritt aus dem Binnenmarkt verlören die Briten auch einen Teil der Handelsprivilegien. Schätzungen der LSE zufolge könnte ein Brexit die Insel bis zu zehn Prozent ihrer Wirtschaftsleistung kosten. Zudem wären die Briten bei TTIP, der Freihandelszone zwischen USA und Europa, außen vor.
Tatsächlich dürfte sich Cameron verrechnet haben. In mehreren programmatischen Reden bemühte er sich, für sein Land einen Status vergleichbar mit der Schweiz zu reklamieren: dabei sein, nicht zahlen, keine Bürokratie und Auflagen, aber Geld. "Rosinenpickerei" komme nicht infrage, hat sich auch die Bundesregierung festgelegt. Im Europäischen Parlament spricht man offen von "Erleichterung", sollten die ohnehin als "Bremser" verschrienen Briten endlich gehen.
Sollten sich die Briten in einem Votum gegen die EU entscheiden, könnte das eine Kettenreaktion im hohen Norden auslösen. Die eher europafreundlichen Schotten würden dann wohl ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum fordern und sich vom Königreich abspalten - das entspräche dem erklärten Ziel der Schottischen Nationalpartei.
In Brüssel zeigt man sich in den Tagen vor der Wahl überzeugt, dass den Menschen im Vereinigten Königreich jeder Austrittswunsch im Halse steckenbleibt. Zumindest wenn ihnen die Konsequenzen klar werden - vielleicht aber auch nicht.