Breite Front gegen das Turbo-Abitur

Berlin/Saarbrücken · Mehr Lehrstoff in weniger Zeit – damit wollen sich viele Schüler und Eltern nicht mehr abfinden. Sie fordern, das achtjährige Gymnasium wieder abzuschaffen. In manchen Bundesländern trägt das schon Früchte.

Florian Weimann kann fast die Uhr danach stellen. "Jede Woche bekommen wir E-Mails, in denen Schüler und Eltern über Probleme mit dem achtjährigen Gymnasium klagen", sagt der Vorsitzende der Gesamtlandesschülervertretung des Saarlandes (GLSV). Richtig abschalten - meistens erst spät abends. Fußballspielen im Verein, Musikunterricht, ehrenamtliches Engagement - keine Zeit. Außerdem leide die Qualität der Bildung unter G8, betont Weimann. Es werde zu viel Unterrichtsstoff in zu wenig Zeit durchgedrückt. Die GLSV hat sich deshalb einem bundesweiten Bündnis angeschlossen, das fordert, das Turbo-Abi abzuschaffen. "Wir wollen unsere Jugend erhalten", sagt Weimann.

Gestern trafen sich die Initiativen, die es inzwischen in allen westlichen Bundesländern sowie Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg gibt, um ihre Kräfte zu bündeln. "Wir wollen nicht bloß zurück zum alten Abitur nach 13 Schuljahren, wir wollen vorwärts zu G9 - einem modernen neunjährigen Gymnasium, in dem auch wieder Zeit für Persönlichkeitsbildung und Werteerziehung bleibt", sagte die hessische Schulleiterin Karin Hechler.

Vor gut zehn Jahren - der Schock der ersten Pisa-Studie war noch nicht verhallt - verabredeten die Ministerpräsidenten in abendlicher Runde, bundesweit die Schulzeit bis zum Abitur auch im Westen auf zwölf Jahre zu verkürzen - wie das vor der deutschen Einheit in der DDR üblich war. Doch statt die Lehrpläne gründlich zu überprüfen und das Unterrichtsvolumen zu reduzieren, wurde die von der Kultusministerkonferenz vorgegebene Pflichtzahl von 265 Lehrplanstunden bis zum Abitur einfach von neun auf acht Schuljahre umgelegt. Statt knapp 30 Unterrichtsstunden pro Woche gab es dann im Schnitt über 33 Stunden. Proteste der Eltern ließen nicht lange auf sich warten.

In einigen Bundesländern wurden sie bereits gehört. Mancherorts besteht für Gymnasien schon die Möglichkeit, wieder eine neunjährige Schulzeit anzubieten. In Niedersachsen wird sogar eine grundsätzliche Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren vorbereitet. Im Saarland, das G8 im Westen als Erstes einführte, wird sich allerdings nichts ändern. Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD) betonte gestern erneut, eine Rückkehr zu G9 stehe "nicht auf der Tagesordnung". Er verwies auf die Wahlmöglichkeit, an der 2012 neu eingeführten Gemeinschaftsschule in neun Jahren das Abitur zu machen.

Commerçons Vorgänger Klaus Kessler (Grüne) sieht zumindest deutlichen Nachbesserungsbedarf bei G8: "Die Lehrpläne müssen weiter verschlankt werden", sagte er. Zudem müsse G8 auch an gebundenen Ganztagsschulen angeboten werden. Auch Barbara Spaniol, Bildungspolitikerin bei der Linken, fordert den Ausbau echter Ganztagsschulen sowie die Wahlmöglichkeit zwischen G8 und G9 am Gymnasium selbst. Joachim Klesen, Vorsitzender der Gesamt-Landeselternvertretung (GLEV), sieht weiteren Bedarf, die Lehrpläne zu überarbeiten. Grundsätzlich laufe G8 aber nach Anfangsschwierigkeiten stabiler.

Für die GLSV bleibt das Ziel die Rückkehr zu G9. Für Weimann steht fest: "Mit der derzeitigen Situation werden wir uns nicht zufrieden geben."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort