Braucht jedes Bundesland eine eigene Polizei?

Berlin · Der Terrorismus geht längst über alle Grenzen hinweg. Ist der deutsche Föderalismus angesichts der aktuellen Gefahren noch zeitgemäß? Innenminister de Maizière hat eine sehr grundsätzliche Debatte angestoßen.

 Polizei ist Ländersache: Auch das ist ein Prinzip der föderalen Bundesrepublik (im Bild die Wappen von Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland). Die Sicherheitspläne des Bundesinnenministers zur Terrorabwehr rütteln jetzt daran. Foto: von Erichsen/dpa

Polizei ist Ländersache: Auch das ist ein Prinzip der föderalen Bundesrepublik (im Bild die Wappen von Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland). Die Sicherheitspläne des Bundesinnenministers zur Terrorabwehr rütteln jetzt daran. Foto: von Erichsen/dpa

Foto: von Erichsen/dpa

Es ist ein Sturm der Entrüstung, den Innenminister Thomas de Maizière (CDU ) da ausgelöst hat. Mit seinem Ruf nach mehr Sicherheitskompetenzen für den Bund hat er vor allem die Länder verärgert. Von einem "Frontalangriff auf das föderale Prinzip der Bundesrepublik" war die Rede, gar vom "Einstieg in einen autoritären Polizeistaat". Vor allem die Ankündigung, die Landesämter für Verfassungsschutz aufzulösen, empörte die Innenminister der Republik .

Alle? Nein. Einer der wenigen, der Unterstützung signalisierte, war Saar-Innenminister Klaus Bouillon . Im "Großen und Ganzen sehr gut" befand der CDU-Politiker vergangene Woche in der SZ die Ideen des Bundes-Ressortchefs. Zumindest müsse man "ergebnisoffen" diskutieren. Gerade im Kampf gegen den Terror sei es hilfreich, mehr Kompetenzen auf den Bund zu verlagern. "Der Föderalismus war da bisher eher hinderlich", sagte Bouillon.

Die ablehnenden Stimmen - darunter auch die saarländische Gewerkschaft der Polizei - waren indes in der Mehrheit. Das war eigentlich immer so, denn die Debatte ist nicht neu. Schon 2004 hatte der damalige Innenminister Otto Schily (SPD ) als Antwort auf Terror und Organisierte Kriminalität eine Zentralisierung des Verfassungsschutzes gefordert. Der Aufschrei, der stets folgt, ist hausgemacht. Denn die Diskussion rührt an die Grundfesten der ausgeklügelten Machtbalance zwischen Bund und Ländern in Deutschland.

"Die Zuständigkeit für Polizei und Innere Sicherheit gehört zu den Kernkompetenzen der Bundesländer", sagt die Politologie-Professorin Sabine Kropp von der Freien Universität Berlin . "Insofern ist die Frage: Wie weit kann man den Ländern Kompetenzen wegnehmen oder sie aushöhlen, ohne das föderale System aufzugeben?"

Dass der sperrige Begriff Föderalismus (vom lateinischen foedera: Bünde, Verträge) in Deutschland so hoch geschätzt wird, hat historische Gründe. Das System reicht bis weit in die deutsche Geschichte zurück, bis ins Mittelalter. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es als Lehre aus der NS-Zeit von den Siegermächten wiederbelebt - als Garant gegen Machtmissbrauch. Nie mehr sollte nach der Schreckensherrschaft der Nazis und dem Holocaust wieder ein zentralistischer Einheitsstaat auf deutschem Boden möglich sein. Gerade im Sicherheitsbereich war die Rolle der allmächtigen Geheimen Staatspolizei (Gestapo ) das abschreckende Beispiel. Das Grundgesetz schreibt deshalb unwiderruflich die Gliederung des Staates in Länder vor. Die Macht des Bundes ist durch die Rechte der Länder begrenzt.

Allerdings sind nach Ansicht des Erlanger Politologen Roland Sturm die Grundsätze längst ausgehöhlt. So hätten die Länder schon seit Jahrzehnten kaum mehr Zugriff auf eigene Steuerquellen. Mit der Verpflichtung auf die Schwarze Null im Etat seien sie seit der Föderalismusreform 2009 nicht mal mehr Herr ihrer Ausgaben, kritisiert der Föderalist. Er spricht von einem Henne-Ei-Problem. "Erst verlieren die Länder Kompetenzen und Geld, und dann wird ihnen vorgeworfen, sie seien handlungsunfähig." Für die Gesellschaft bedeute das weniger Bürgernähe, weniger Transparenz, weniger Rücksicht auf regionale Besonderheiten. "Der Staat verliert ständig an demokratischer Qualität", meint der Wissenschaftler.

In Sachen zentraler Verfassungsschutzbehörde zu Lasten der Länder ist auch die Vizepräsidentin der Europa-Universität in Frankfurt (Oder), Ines Härtel, skeptisch. "Besser wäre es, die Kooperations- und Kommunikationsstrukturen zu optimieren", sagt sie. "Vor Ort haben die jeweiligen Bundesländer bessere Möglichkeiten, verfassungsschutzbezogene Erkenntnisse zu erlangen. Diesen Vorteil des Föderalismus sollte man nicht aufgeben."

Kritiker sehen in der deutschen Kleinstaaterei jedoch auch entscheidende Nachteile. Die Mitsprache der starken Länderfürsten über den Bundesrat führt zu oft monatelangen Vermittlungsverfahren, die Entscheidungswege sind lang und kompliziert, und die Doppelstrukturen machen die Verwaltung teuer. Mehrfach gab es deshalb Bestrebungen, kleinere Bundesländer zusammenzulegen - bis auf die Gründung von Baden-Württemberg 1952 ohne Erfolg. Noch 2003 schlug der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck glücklos ein Zusammengehen mit dem Saarland vor.

Nicht zuletzt machte die Kleinstaaterei auch die Einigung auf einen neuen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern so schwierig. Erst Ende 2016 verständigten sich beide Ebenen darauf, dass die Länder ab 2020 jährlich insgesamt gut 9,75 Milliarden Euro mehr aus der Bundeskasse erhalten - allein ins Saarland fließen per anno dann 500 Millionen.

Von der Sicherheitsfrage zum Koalitionskrach

Der nächste Krach: In der Sicher- heitsdebatte um die Folgen aus dem Berlin-Attentat wird es in der Koalition ruppig. Der Bun- desinnenminister wirft der SPD mangelnde Unterstützung vor. Die Genossen schlagen zurück.

Der Ton wird rauer: In der großen Koalition ist offener Streit über die Konsequenzen aus dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt entbrannt. Innenminister Thomas de Maizière (CDU ) wirft der SPD mangelnde Kooperationsbereitschaft in Fragen der Terrorabwehr und inneren Sicherheit vor. "Gerade bei der konkreten Verbesserung der Abschiebemöglichkeiten könnten wir viel weiter sein", sagte er der "Bild am Sonntag". Die SPD hielt de Maizière daraufhin vor, von eigenen Versäumnissen ablenken zu wollen.

De Maizière hatte vergangene Woche einen Vorschlag für eine neue Sicherheitsarchitektur in Deutschland gemacht. Schon vor dem Anschlag forderte er zudem strengere Regeln für die Abschiebehaft, vor allem mit Blick auf Asylbewerber, die als islamistische "Gefährder" eingestuft sind - wie es der Berlin-Attentäter Anis Amri war. Die SPD hatte dabei oft blockiert. "Auch wenn die SPD jetzt die Bedeutung des Themas Innere Sicherheit erkannt zu haben scheint, bin ich leider nicht sicher, ob alle in der SPD bereit sind, harte Maßnahmen wirklich mitzutragen", sagte der Innenminister der "BamS". SPD-Generalsekretärin Katarina Barley reagierte empört. "Herr de Maizière lenkt nur vom eigenen Versagen ab", erklärte sie gestern. Über Monate habe er die Situation beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht in den Griff bekommen. Dies sei der Grund, warum jemand wie Amri mit 14 verschiedenen Identitäten umherreisen konnte. "Härtere Gesetze hätten keinen Terroranschlag im Vorfeld verhindert", sagte sie. Ebenso wenig wie jetzige "reflexartige Rufe nach Verschärfungen". Unterdessen kündigte SPD-Justizminister Heiko Maas ein härteres Vorgehen gegen Gefährder an.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort