Braucht das Saarland mehr Windräder?

Saarbrücken · Der Linken-Politiker Oskar Lafontaine und der Wissenschaftler Uwe Leprich tauschen in der SZ ihre Argumente aus.

Herr Leprich, verschandeln Windräder die Landschaft?

Leprich Das ist eine ästhetische Frage, und ich denke, um die geht es hier nicht so sehr. Spätestens nachdem in Paris 2015 weltweit das Signal für eine Dekarbonisierung gegeben wurde, müssen wir daran arbeiten, das gesamte Energiesystem auf erneuerbare Energien umzustellen. In den letzten 20, 30 Jahren haben wir einiges ausprobiert und gesehen, was tragfähig, einigermaßen kostengünstig und technisch ausgereift ist. Von allen Optionen, die wir mal hatten, haben sich die Windenergie und die Fotovoltaik am meisten durchgesetzt.

Für Herrn Lafontaine ist es eine ästhetische Frage. Noch mal: Stören Windräder Sie in der Landschaft?

Leprich Ganz subjektiv muss ich sagen: Mir gefallen sie. Aber ich kann auch Leute verstehen, die das nicht toll finden. Wir zahlen einen Preis für die Industriegesellschaft. Autobahnen oder Strommasten finden auch nicht alle toll.

Lafontaine Windräder verschandeln die Landschaft. Deutlich wurde das auch, als Räder direkt neben der Skulpturenstraße "Steine an der Grenze", die Professor Schneider mit anderen Bildhauern geschaffen hat, aufgestellt wurden. So etwas bringen nur Kulturbanausen fertig. Ich habe manchmal Angst, dass die große Windkraft-Koalition Windräder nicht nur im Wald, sondern auch neben der Burg Montclair oder der Ludwigskirche aufstellt. Das Empfinden für die Schönheit der Landschaft und der Natur spielt bei den Entscheidungen der Landesregierung leider keine Rolle.

Ist es ökologisch vertretbar, Windräder auch im Wald aufzustellen?

Leprich Das ist in jedem Fall vertretbar. Gerade die Forste werden oft privatwirtschaftlich genutzt. Das sind Leute, die betriebswirtschaftlich damit kalkulieren. Dort sind die Windräder für viele Bürger möglicherweise auch nicht so störend. Wälder sind oft Gebiete, die besonders windhöffig sind, das heißt, dort kann man die Anlage besonders wirtschaftlich betreiben. Wenn wir diese Gebiete ausklammern, könnten wir die Ausbauziele nicht erreichen.

Lafontaine Man darf keine Windräder im Wald aufstellen. Wir müssen unsere Natur schützen und zur Natur gehören auch der Wald und die Tiere. Als Pilzesammler bin ich oft im Wald unterwegs und sehe, wie er durch Windräder beschädigt wird. Windräder sind Fledermaus-Schredderanlagen, auch viele andere Tiere wie der Rotmilan oder das Rotwild werden verdrängt. Wir Saarländer sollten nicht dümmer sein als die Pfälzer. Die Pfälzer schonen ihren Pfälzerwald, aber die Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer sieht ungerührt zu, wie ihr Umweltminister im Wald Bäume fällen lässt, um Windräder aufzustellen.

Warum hat die Windkraft diese Akzeptanzprobleme?

Lafontaine Sie zerstört das Landschaftsbild und beeinträchtigt die Gesundheit, etwa durch den Infraschall. Während Grundbesitzer und die Windkraft-Betreiber sich eine goldene Nase verdienen, haben die Haushalte mit geringem Einkommen enorme Probleme, weil sich die Strompreise seit 2000 verdoppelt haben.

Leprich Das Umweltbundesamt hat die gesundheitlichen Effekte zusammengetragen. Zum Thema Infraschall ist die Aussage ganz klar: Bislang - das ist wirklich breit untersucht worden - gibt es keine konsistente Evidenz dafür, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Infraschall-Emissionen verursacht werden. Das ist Punkt eins. Punkt zwei: Derzeit fehlen noch Langzeitstudien, genauso wie etwa für die Strahlung beim Mobilfunk.

Lafontaine Das stimmt. Und deshalb dürfen wir die Saarländer nicht als Versuchskaninchen missbrauchen und wenn die Forschung nachweist, dass gesundheitliche Schäden auftreten, mit den Schultern zucken und sagen: Tut uns leid. Das Mindeste wäre ein Abstand über zwei Kilometer zu den Häusern, eine 10-H-Regelung wie in Bayern und Sachsen.

Könnte die Akzeptanz gestärkt werden, wenn man Bürger selbst entscheiden lässt, ob sie einen Windpark in ihrer Gemeinde wollen?

Leprich Da bin ich skeptisch, weil wir klare Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien haben. Dann würde ich einen großen Unsicherheitsfaktor einbauen, in der derzeit aufgeheizten Diskussion käme ich nicht weiter. Ich bin ein großer Befürworter von Bürgerenergie-Anlagen, an denen die Bürger wirtschaftlich beteiligt sind. Aber die Entscheidung generell abhängig zu machen von Bürgerentscheiden, da kämen wir sehr stark ins Straucheln, was unsere Klimaschutz-Ziele anbelangt.

Lafontaine Ich erlebe immer wieder, dass Gemeinderäte Windkraftanlagen ablehnen. Auch Kommunalpolitiker von CDU und SPD sind oft dagegen. Aber dann heißt es: Die Gemeinde kann das leider nicht entscheiden, sondern die Landesregierung, also die große Windkraft-Koalition von CDU und SPD. Wenn ein Windrad von über 200 Meter Höhe aufgestellt wird, beeinträchtigt das die Landschaft erheblich, deshalb müssen die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde das Recht haben, solche Anlagen zu verhindern.

Leprich Das ist rein subjektiv. Aber es gibt viele Sachen, die sind objektiv. Da sind die Diskussionsprozesse vor Ort extrem wichtig, um Auflagen zu erreichen. Es gibt zum Beispiel technische Möglichkeiten, Windräder abzuschalten, wenn besonders viel Fledermaus-Flug ist. Bei den Rotmilanen kann man genau schauen, wo die lang fliegen und einzelne Windprojekte dann streichen. Wenn Eiswurf eine Gefahr ist, muss man die Blätter beheizen, das kann eine Auflage sein. Überall dort, wo ich objektiv Risiken habe und wo ich die auch durch Technik vermeiden kann, sollte man auch darauf drängen.

Lafontaine Ja, Gott sei Dank, manchmal werden die Windräder abgeschaltet. Aber die Beeinträchtigung von Natur, Landschaft und Gesundheit bleibt. Nehmen wir den Eiswurf. Wenn der Waldspaziergänger im Winter überall Schilder sieht, auf denen steht "Vorsicht Eiswurf", dann vergeht ihm die Lust auf seinen Spaziergang.

Wir haben noch nicht über die technischen Aspekte gesprochen.

Lafontaine Im Dezember und Januar gab es Tage, da hatten wir einen Verbrauch von 60 Gigawatt, und nur zwei Gigawatt wurden von erneuerbaren Energien gestellt, weil es eine Wolkendecke gab und kein Wind wehte. Das zeigt, dass man die traditionellen Kraftwerke weiter braucht, sonst wäre überall der Strom ausgefallen. Solange wir keine Speicher und bessere Netze haben, ist der weitere Ausbau der Windkraft technisch nicht vertretbar. Das Ganze erinnert an den Bau der Atomkraftwerke. Wir haben damals gesagt: Solange ihr keine Antwort auf die Frage habt, wohin mit dem Atommüll, ist es nicht verantwortbar, Atomkraftwerke zuzubauen. Sie wurden trotzdem gebaut und wir haben immer noch keine Antwort, wohin der hoch radioaktive Atommüll soll. Auch bei der Windenergie wird einfach drauflos gebaut, obwohl es keine Speicher gibt und der notwendige Netzausbau noch viel Zeit braucht.

Leprich Das entsetzt mich ein bisschen, Herr Lafontaine! Es tut mir in der Seele weh, erneuerbare Energien und Atomenergie in einen Topf zu rühren. Die Atomenergie war geprägt durch große Konzerne und die Nichtbeteiligung der Bevölkerung. Bei den Erneuerbaren haben wir 1,5 Millionen dezentrale Anlagenbetreiber. Die Renditen, die dort erzielt werden, können Sie nicht ansatzweise vergleichen mit denen, die im Atombereich verdient wurden. Wir haben die Macht der großen Energieunternehmen geknackt. Da gehe ich überhaupt nicht mit zu sagen: Das ist die neue Atomkraft. Im Gegenteil!

Lafontaine Es geht um das Drauflos-Bauen ohne Sinn und Verstand. Und bei Windstille kaufen wir dann Atomstrom aus Frankreich und Tschechien.

Leprich Bei den Speichern haben wir Gott sei Dank viel Zeit. Wir brauchen sie nicht sofort, sondern erst, wenn wir deutlich mehr erneuerbare Energien haben. Wir haben ja noch einen sehr gut ausgebauten, noch immer überdimensionierten konventionellen Kraftwerkspark. Der hat sich, das muss man wirklich anerkennen, unheimlich flexibilisiert. Heute ist es kein Problem, ein Kohlekraftwerk auf 20 oder 15 Prozent Leistung herunterzufahren. Es gibt niemanden, der sagt, wir müssen bis 2020 alle Kohlekraftwerke abstellen. Langfristig brauchen wir Speicher, und in der Zwischenzeit brauchen wir einen Schatten-Kraftwerkspark von 50 bis 60 Gigawatt, das hat auch nie jemand bestritten. Die Frage ist, wie man den so erneuern kann, dass man trotzdem den Klimaschutzzielen nachkommt. Das geht nur mit Gas.

Lafontaine Schön, auch Sie sagen: Wir brauchen Speicher und bis zu 60 Gigawatt Kraftwerksleistung. Ist es dann sinnvoll, ohne Speicher und Netze immer neue Windräder aufzustellen?

Ein anderes Thema ist die Auswirkung des Windkraft-Ausbaus auf den Strompreis. Wird die soziale Frage gerne vergessen?

Leprich Die wird überhaupt nicht vergessen. Aber ich wundere mich, wie sie dargestellt wird. Wenn Sie sich den Preisverlauf in den letzten zehn Jahren bei Gas, Benzin, Fernwärme und Strom ansehen, fällt Ihnen bei Strom nichts auf. Der Preis ist völlig normal wie alle anderen gestiegen. Die Summe aus EEG-Umlage und Börsenpreis hat sich bei stabilen zehn Cent eingependelt. Durchschnittlich zahlt ein Haushalt in Deutschland für Strom 2,5 Prozent seines Gesamtbudgets, etwa die Handyrechnung. Bei der Industrie sind es 1,5 Prozent.

Lafontaine Wir wenden 25 Milliarden Euro auf, um den Ausbau der erneuerbaren Energie zu finanzieren. Wenn wir dieses Geld für die Wärmedämmung oder für die Entwicklung emmissionsärmerer Motoren ausgeben würden, würde der CO-Ausstoß ebenso sinken. Wir hätten keine Landschaftszerstörung und keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Und es gäbe auch zusätzliche Beschäftigung.

Das Gespräch führte Daniel Kirch.

Zum Thema:

 Fotos: Robby Lorenz

Fotos: Robby Lorenz

 SymbolfotoLocation:Parchim

SymbolfotoLocation:Parchim

Foto: Jens Büttner (dpa-Zentralbild)

Oskar Lafontaine (73), Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Landtag, früherer Ministerpräsident (1985-98), SPD-Bundesvorsitzender (1995-99) und Bundesfinanzminister (1998-99) Uwe Leprich (57), Professor für Wirtschaftspolitik, Energiewirtschaft und Umweltpolitik an der HTW in Saarbrücken, derzeit abgeordnet als Leiter der Abteilung Klimaschutz und Energie ans Umweltbundesamt

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort