Brasilien am Abgrund

Brasilia · Die Wirtschaft stagniert, der Frust in der Bevölkerung sitzt tief: Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff steht unter Druck. Ausgerechnet jetzt reist Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Konsultationen in das Land.

Man muss sich ernsthaft sorgen um Dilma Rousseff . Schon rein äußerlich. Die Präsidentin ist deutlich abgemagert. Medien munkelten, eine Krankheit habe der 67-Jährigen zugesetzt. Aber Rousseff behauptet, sie halte nur Diät und habe so 15 Kilo weggehungert.

Viele Brasilianer hingegen sagen sarkastisch, ihre Präsidentin sei so dünn geworden, weil ihr der Appetit vergangenen ist angesichts der vielen Probleme: das möglicherweise drohende Amtsenthebungsverfahren , die Wirtschaft im freien Fall und die Inflation im unaufhaltsamen Anstieg. Und dann die Umfragewerte: Kein brasilianisches Staatsoberhaupt seit 1990 war so unpopulär wie es derzeit Rousseff ist. Nur acht Prozent der Bevölkerung finden noch, dass sie einen guten Job macht.

Und dann flammen gegen die linksliberale Staatschefin auch die Straßenproteste wieder auf, die man noch von 2013 gut kennt. Aber dieses Mal fordern viele Menschen Rousseffs Rücktritt, die ihr im Oktober noch die Stimme gaben und so hauchdünn ihre Wiederwahl sicherten. Am gestrigen Sonntag gingen erneut zigtausende Menschen auf Demonstrationen im ganzen Land gegen Rousseff auf die Straße. Die Forderung ist kurz und krass: "Fora Dilma" - Dilma raus. "Der Frust der Bevölkerung ist deutlich größer als 2013", sagt der Politologe David Fleischer. Heute stünden nicht mehr die hohen Kosten für die Fußball-WM und die teuren Fahrpreise für den Öffentlichen Nahverkehr in der Kritik. "Jetzt geht es gegen das System und die Präsidentin."

Aber was macht die Brasilianer so wütend? Es ist die Kombination aus tiefer Rezession, scheinbar unendlicher Korruption sowie Arroganz und Beratungsresistenz der Präsidentin. Die größte Volkwirtschaft Lateinamerikas stagniert seit vier Jahren. 2015 wird laut Prognose der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) das Bruttoinlandsprodukt um 1,5 Prozent schrumpfen. Die Inflation erreicht neun Prozent. Die Rohstoffmilliarden der vergangenen Jahre bleiben wegen der schwachen Nachfrage in Asien aus.

Zudem mündet der milliardenschwere Korruptionsskandal um den Staatskonzern Petrobras in eine politische Dauerkrise. Wichtige Politiker der linken Regierungspartei PT sind tief in den Skandal um den Ölkonzern verstrickt. Die Justiz lässt im Wochenrhythmus Verdächtige aus fast allen Parteien festnehmen, und dabei kommt der Skandal dem Präsidentensitz Palácio do Planalto in Brasilia immer näher. Rousseff hat schließlich als frühere Energieministerin und Aufsichtsratsvorsitzende Petrobras kontrolliert. Auch damals versickerten Milliarden.

Hinzu kommt, dass die Bevölkerung sich von ihrer Präsidentin hintergangen fühlt. Im Wahlkampf vor einem Jahr hatte sie Geld in Sozialprogramme für die armen Regionen des Landes gepumpt. Aber noch vor Antritt des zweiten Mandats setzte sie mit Joaquim Levy einen neoliberalen Investmentbanker als Finanzminister ein. Der strich die Sozialprogramme zusammen und lässt massiv sparen.

Und so ist die Krise der südamerikanischen Supermacht auch diejenige ihrer Präsidentin. Im fünften Jahr an der Macht laviert sich Rousseff durch die Stürme um sie herum, und im Moment ist nicht klar, ob sie nicht demnächst totalen Schiffbruch erleidet.

Denn gegenwärtig prüft die Oberste Wahlbehörde Brasiliens, ob Rousseff für ihren Wahlkampf vergangenes Jahr Gelder aus schwarzen Petrobras-Kassen erhalten hat, und der Bundesrechnungshof TCU untersucht, ob die Präsidentin nicht Geld von Staatsbanken einsetzte, um im Wahljahr Haushaltslöcher zu stopfen. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, könnte ein Amtsenthebungsverfahren gegen sie eingeleitet werden. Die Folge wären Neuwahlen.

Von wo auch immer man auf das größte Land Lateinamerikas gerade schaut, ein bisschen erinnert Brasilien derzeit an eine Bananenrepublik. Weit weg sind die Zeiten, als man dem Land zutraute, bis 2015 Frankreich als fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt abzulösen. Ausgerechnet in diesem Moment reist am Mittwoch Kanzlerin Angela Merkel mit 13 Ministern und Staatssekretären zu Regierungskonsultationen nach Brasilien. Das Format, eigentlich reserviert für enge und wichtige Partner, soll Brasilien aufwerten. Im Zentrum der Gespräche stehen die Themen Wirtschaft und Umwelt- beziehungsweise Klimaschutz.

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