Brexit-Debakel Boris Johnson kämpft weiter für Neuwahlen in Großbritannien
London · Der britische Premier braucht eine Mehrheit, um seinen Brexit-Deal durchs Parlament zu bekommen. Aus der Bevölkerung bekommt er Zuspruch.
Großbritanniens Premierminister Boris Johnson will heute darüber abstimmen lassen, ob es am 12. Dezember zu einer Parlamentswahl in Großbritannien kommt. Unter der bisherigen Gesetzgebung braucht er dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit – und damit die Zustimmung eines guten Teils der Abgeordneten der Labour-Partei. Deren Vorsitzender Jeremy Corbyn hatte sich jedoch zurückhaltend geäußert. Er will erst eine Entscheidung in Brüssel über die Verlängerung der Brexit-Frist abwarten.
In Brüssel herrscht grundsätzlich Einigkeit über eine weitere Fristverlängerung über den 31. Oktober hinaus. Jedoch hat Frankreich Bedenken gegen eine Verlängerung bis ins nächste Jahr hinein angemeldet. Möglich erscheint nun auch eine kurze Schonfrist von wenigen Wochen, um Johnson zu ermöglichen, sein Gesetz durchs Parlament zu bringen. Die Entscheidung in Brüssel soll Anfang der Woche fallen, aber möglicherweise nicht mehr vor der Abstimmung in London. Frankreich forderte am Sonntag Klarheit, wie es auf britischer Seite weitergeht. „Wenn die Dinge klar sind, können wir klar antworten“, sagte Europastaatssekretärin Amélie de Montchalin. „Heute ist nichts klar.“ So sei es bisher nicht deutlich geworden, ob das Parlament Neuwahlen unterstütze. Frankreich fährt im Brexit-Streit traditionell einen harten Kurs.
Die Labour-Abgeordnete Diane Abbott sagte, das Risiko eines No-Deal-Brexits müsse erst ausgeschlossen werden. Andernfalls drohe ein „Trump-Brexit“, der die britische Volkswirtschaft US-amerikanischen Großkonzernen ausliefere. Am Samstag hatte die Financial Times über Überlegungen der britischen Regierung berichtet, nach einem Brexit Arbeitnehmerrechte auszuhöhlen, und sich dabei auf Unterlagen berufen, die ihr aus der Downing Street zugespielt worden waren. Der Independent hatte über Bedenken berichtet, wonach bei einem Handelsabkommen mit den USA wesentliche Regulierungen, etwa bei der Behandlung von Hühner- oder Rindfleisch, über Bord geworfen werden könnten.
Der frühere Labour-Premierminister Tony Blair forderte seine Partei auf, dafür zu sorgen, dass ein No-Deal-Brexit komplett vom Tisch sei, bevor man einer Neuwahl zustimme. Das gelte auch für den Fall, dass nach einem Austritt die Verhandlungen für ein Handelsabkommen mit der EU scheitern könnten. Viele in Großbritannien befürchten, dass Johnson für diesen Fall einen No-Deal-Brexit durch die Hintertür im Jahr 2020 einleiten könnte. Labour-Parteichef Jeremy Corbyn warf Johnson vor, dieser plane, Großbritannien zu einem Niedrigsteuer-Land am Rande der EU zu machen.
Der Sunday Express zitierte Johnson am Sonntag mit heftigen Vorwürfen gegen das Parlament. „Mehr als drei Jahre lang hat das Parlament dem Land ständig gesagt, was es nicht will. Aber es hat nie sagen wollen oder können, was es will.“ Dies habe zu einem Stillstand geführt. „Das Parlament kann das Land nicht länger in Geiselhaft nehmen.“
In neuen Meinungsumfragen wird Johnsons Kurs bestätigt. Seine Tories liegen in einer Umfrage des Institutes Yougov für die Times mit 36 Prozent der Stimmen 13 Prozentpunkte vor Labour. Es folgen die pro-europäischen Liberaldemokraten (18 Prozent) und die harten Austrittsbefürworter der Brexit-Partei von Nigel Farage (zwölf Prozent). Eine Umfrage des Instituts „Opinion“ für den Observer gibt den Tories sogar einen Vorsprung von 16 Punkten. Johnsons Beliebtheitswerte sind dort mehr als doppelt so hoch wie die des Labour-Chefs Jeremy Corbyn.