Böhrnsen hat die Hand weiter am Ruder

Bremen · Ohne die SPD geht an der Weser auch nach der Bürgerschaftswahl nichts. Jens Böhrnsen kann erneut die Regierung bilden. Doch für Rot-Grün wird es eng. Denn SPD und Grüne müssen erheblich Federn lassen.

Jens Böhrnsen mag es bedächtig. Getöse, Internet-Homepage, TV-Duell - all das lehnte Bremens Bürgermeister im zurückliegenden Wahlkampf ab. Doch ein wenig mehr Wirbel hätte offenbar nicht schaden können. Die SPD fuhr das schlechteste Ergebnis seit 1946 ein. Das geht auch auf Böhrnsens Konto. Ob er die rot-grüne Koalition fortsetzen kann, war zunächst unklar. Die Grünen verzeichneten massive Verluste.

Die Spitzenkandidatin der CDU , Elisabeth Motschmann, jubilierte schon mal. "Wir haben gewonnen. Wir haben unser Wahlziel erreicht", sagte sie. Die CDU , die leicht zulegte und wieder zweitstärkste Kraft ist, habe Rot-Grün "knacken" wollen. "Das hat - nach meinem Wissen - fast oder ganz geklappt."

Böhrnsen wollte eigentlich am Abend gleich nach den Prognosen um 18 Uhr seinen sicher geglaubten Sieg öffentlich kommentieren. Doch nachdem die Balken für die SPD deutlich kürzer ausfielen als gehofft, ließ der überraschte Bürgermeister ein bisschen länger auf sich warten. Es sei "ein bitterer Wahlabend", sagte er. Gleichwohl seien die Sozialdemokraten "nach wie vor die mit Abstand stärkste politische Kraft" im Land. Daher "muss und wird" die SPD den Regierungsauftrag annehmen.

Seit bald zehn Jahren lenkt der Ex-Verwaltungsrichter Böhrnsen die Geschicke des kleinsten deutschen Bundeslandes. Wenn es so etwas wie eine Hochburg der Sozialdemokraten auf Landesebene gibt, dann ist es Bremen : Seit dem Zweiten Weltkrieg stellt die SPD dort ununterbrochen den Bürgermeister. Die Bremer mögen ihren als kompetenten Verwalter geschätzten Regierungschef offenbar genau so, wie er ist: ruhig, zurückhaltend, bedacht. Die Umfragen der vergangenen Wochen sagten stets eine Bestätigung für die bestehende Regierung voraus - und Böhrnsen glaubte sich sicher.

Dabei steht längst nicht alles zum Besten in der beschaulichen Hansestadt, die das Ende des Werftenzeitalters bis heute nicht verwunden hat und zu den Ländern mit der prekärsten Finanzlage gehört. Aber der Regierungschef mit dem silbergrauen Haaren und der randlosen Brille, der als fleißiger Aktenleser gilt, genießt Vertrauen. Zu Böhrnsens Charakter gehört es, dass es ihm schwer fällt, auf Menschen zuzugehen. Als "menschenscheuer Politiker" wurde der Fan des Fußball-Bundesligisten Werder Bremen und der Rockband Rolling Stones immer wieder tituliert.

Dafür ist er in Bremen verwurzelt, kennt dessen Schwierigkeiten und auch Besonderheiten. Böhrnsen entstammt einer alten sozialdemokratischen Bremer Familie, wuchs in der Hansestadt auf und war dort als Jurist tätig. Bereits als Jugendlicher trat er in die SPD ein und arbeitete sich allmählich nach oben. Von 1995 bis 2005 war er Bürgerschaftsabgeordneter, ab 1999 zugleich SPD-Fraktionschef. Böhrnsen ist ein Genosse alter Schule. Sein zentrales politisches Projekt ist der Kampf für eine soziale Gesellschaft. Zugleich ist er Realist: An der Sanierung des maroden Bremer Etats durch einen verschärften Sparkurs rüttelt er nicht.

Persönlich musste Böhrnsen während des Wahlkampfs 2007 einen schweren Schicksalsschlag einstecken: Seine zweite Frau starb an den Folgen einer Hirnblutung. 2011 heiratete Böhrnsen erneut. Seine Frau Birgit Rüst ist Leiterin eines schulischen Beratungszentrums im Bremer Stadtteil Vegesack, beide haben je zwei erwachsene Kinder. Auch ein Enkel gehört zur Patchwork-Familie.

Bundespolitisch tritt Böhrnsen selten in Erscheinung, abgesehen von den Diskussionen über den für Bremen so lebenswichtigen Länderfinanzausgleich. Nur einmal war das anders: Nach dem plötzlichen Rücktritt von Horst Köhler als Bundespräsident übernahm er 2010 als damaliger Bundesratspräsident für 30 Tage kommissarisch dessen Amt. Es sei eine "spannende Zeit" gewesen, sagte er später. Auf den Geschmack kam er indes nicht. "Das nehme ich als schöne Erfahrung mit. Aber mein Herzblut ist und bleibt Bremen ."

Meinung:

Zehn Monate freie Bahn

Von SZ-KorrespondentWerner Kolhoff

Bremen ist politisch die Langeweile pur, SPD-regiert seit Kriegsende. Das erklärt zum Teil wohl auch die dramatisch niedrige Wahlbeteiligung. Vielleicht war es ein Tick Langeweile zu viel. Vielleicht waren sich SPD und Grüne allzu sicher. Gestern wurden sie regelrecht abgewatscht. Besonders für SPD-Chef Sigmar Gabriel , der mit seiner Partei bundespolitisch nicht vorankommt, ist das eine schlechte Nachricht.

Rot-Grün hat verloren, aber die CDU ist nicht die Gewinnerin. Wenn die CDU stolz darauf sein sollte, die Grünen als zweitstärkste Partei überflügelt zu haben, dann ist sie sehr bescheiden geworden. Der Lösung ihres bundesweiten Großstadtproblems ist sie keinen Millimeter näher gekommen.

Die wichtigste bundespolitische Konsequenz ist freilich eine andere: Dies war die letzte Landtagswahl bis März 2016 in Baden-Württemberg. Zehn Monate freie Bahn also für Merkel, Gabriel und Seehofer, um aus ihrer großen Koalition doch noch ein paar Beschlüsse herauszuquetschen, die das Land langfristig voranbringen. Vielleicht eine Steuerreform? Vielleicht mehr Investitionen in die Bildung? Vielleicht die Energiewende? Geld ist zufällig gerade auch genug da. Nichts wie ran. Die Zeit läuft.

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