BND-Spionage unter Freunden

Berlin · Angela Merkel war verärgert über die USA: Ausspähen unter Freunden gehe gar nicht. Doch damals sollen die Deutschen selbst Spionage bei Freunden in großem Stil gerade erst gestoppt haben.

Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll jahrelang die Kommunikation befreundeter Staaten aus eigenem Antrieb ausgespäht haben. Abgeordnete aus allen Bundestagsfraktionen zeigten sich gestern alarmiert. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags (PKGr) will den Vorwürfen mit einer eigenen Task Force auf den Grund gehen. BND-Präsident Gerhard Schindler und das Bundeskanzleramt hatten am Mittwochabend das PKGr über problematische Spähaktivitäten in der Vergangenheit informiert und mitgeteilt, "dass es auch beim BND hochproblematische Selektoren gegeben hat, die bis Ende 2013 im Einsatz waren", wie der Vorsitzende des Gremiums, André Hahn (Linke), sagte. Selektoren sind etwa Telefonnummern oder Mail-Adressen, nach denen weltweite Datenströme durchsucht werden.

Vize-Chef Clemens Binninger (CDU ) sagte, nach den Regierungsangaben vom Mittwoch müsse man davon ausgehen, dass ein Teil der Selektoren vom Auftragsprofil des BND womöglich nicht gedeckt gewesen sei. Laut "Spiegel online" spähte der BND Botschaften und andere Behörden von EU-Ländern und weiteren Partnerstaaten aus. Nach Informationen des rbb-Inforadios befand sich unter den Zielen auch das US-Außenministerium . Erst im Frühjahr war bekannt geworden, dass der BND mit tausenden Spähzielen des US-Geheimdienstes NSA die Kommunikationsströme überwachte. Diese Selektoren sollen gegen deutsche und europäische Interessen verstoßen haben. Sie zielten etwa auf die europäischen Rüstungsunternehmen Eurocopter und EADS.

Die neuen Vorwürfe über die BND-eigenen Selektoren seien "sehr ernst", sagte Binninger. Der SPD-Obmann im NSA-Ausschuss, Christian Flisek, meinte, die Grenze zum Rechtswidrigen sei wahrscheinlich überschritten worden. "Es geht um Institutionen, es geht um Einrichtungen befreundeter Staaten", sagte PKGr-Chef Hahn. Die PKGr-Task-Force soll nächste Woche in der BND-Zentrale in Pullach Akteneinsicht nehmen und die Vorwürfe gegen den Geheimdienst prüfen.

Brisant sind die Vorwürfe auch, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU ) im Oktober 2013 gesagte hatte: "Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht." Damals war bekannt geworden, dass die NSA ihr Handy abhörte. Hahn sagte: "Man hat die Kanzlerin vom BND voll ins Messer laufen lassen." Justizminister Heiko Maas (SPD ) pochte auf eine BND-Reform. "Wir brauchen strengere Regeln für den BND. Und wir müssen sicherstellen, dass diese Regeln auch durchgesetzt werden."

Meinung:

Das geht doch!

Von SZ-RedakteurUlrich Brenner

Also doch, das geht! Selbst deutsche Geheimdienste spähen Freunde aus. Diese Nachricht erklärt, warum die Berliner Reaktion auf US-Spionage in Deutschland so verhalten ausfiel und der Luftballon "No-Spy"-Abkommen nach der Wahl so schnell platzte. Man war nicht wirklich überrascht über die US-Schlapphüte, weil das Ziel, auch über Freunde viel zu wissen, alle Geheimdienste eint. Die deutsche Tugend ist da eher Mangel an Gelegenheit. Ob das Vorgehen des BND - ein Auslandsdienst - verfassungsfeindlich war, wie nun schnell getönt wird, ist höchst fraglich. Ob es politisch klug war? Natürlich nicht - vor allem, weil es herauskam.

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