Blutiger Anschlag reißt Tunesien aus dem Arabischen Frühling

Tunis · Tunesien galt als Musterland des Arabischen Frühlings – nun hat ein Anschlag die einzige aus den Aufständen von 2011 erwachsene Demokratie erschüttert. Bei der Attacke nahe des Parlaments kamen mehr als 20 Menschen um.

Am Anfang twittert die Parlamentsabgeordnete Sayida Ounissi von einer "großen Panik" - ein Bewaffneter treibe sich vor dem Parlament herum. Nur wenige Minuten später wird klar, dass dies den Auftakt zum bislang schlimmsten Terrorangriff in Tunesien seit dem Arabischen Frühling bildet. Mindestens zwei Angreifer stürmen am Mittwoch den Platz zwischen dem Parlament und dem tunesischen Nationalmuseum Bardo. Die Extremisten schießen willkürlich mit Kalaschnikows auf Touristen, dann verbarrikadieren sie sich mit mehreren Geiseln im Museum. Am Ende sind nach offiziellen Angaben 21 Menschen tot, darunter zwei Attentäter. 17 der Toten seien ausländische Urlauber - möglicherweise auch einer aus Deutschland. Weitere 44 Menschen seien verletzt worden.

Die blutige Tat holt das Urlaubsland vier Jahre nach dem Arabischen Frühling in die Realität zurück. Tunesien ist das Geburtsland der Aufstände - und hatte als bislang einziges Land den Weg in die Demokratie geschafft. Anfang 2011 stürzten die Tunesier den Diktator Zine el Abidine Ben Ali. Im Dezember 2014 schloss die erste freie Präsidentenwahl den Demokratisierungsprozess im Land ab - anders als im Rest der Region. In Syrien , Libyen und im Jemen toben Bürgerkriege, in Ägypten herrscht wieder ein despotischer Armeechef. Islamistische Gruppen nutzen das Chaos für ihre Zwecke. Nun zeigten die Extremisten mit einer Machtdemonstration, dass auch in Tunesien mit ihnen zu rechnen ist.

Das Muster des Angriffs erinnert an die Bluttat von Islamisten im Januar in Paris. Damals stürmten professionell trainierte Kämpfer hochbewaffnet die Redaktion der Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo". In Tunis berichten Augenzeugen, die Angreifer hätten zunächst versucht, ins Parlament einzudringen, in dem das Abgeordnetenhaus gerade tagte. Als die Terroristen auf den Widerstand des Wachpersonals gestoßen seien, hätten sie das benachbarte Museum gestürmt und dort Geiseln genommen. Im Museum befanden sich zu diesem Zeitpunkt mindestens 100 Besucher, darunter auch Reisende eines großen Kreuzfahrtschiffes, das Stunden zuvor im Hafen angelegt hatte. Die meisten konnten nach Angaben des Innenministeriums rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden.

Einige der im Museum gefangenen Urlauber sandten per Handy Fotos und Kurznachrichten an die Außenwelt. Auf den Bildern sah man, wie Touristen in einem Ausstellungssaal auf dem Boden kauern. Eine Geisel schickte einen verzweifelten Notruf: "Sie schießen auf alles, bitte helft uns." Tunesische Abgeordnete berichteten von "einem heftigen Schusswechsel" in der Umgebung des Museums und des Parlamentes. Spezialeinheiten umstellten schließlich den Berichten zufolge das Gebäude und beendeten die Geiselnahme. Dabei seien zwei Terroristen und ein Polizist umgekommen.

Im Internet bejubeln Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Tat, offiziell bekennt sich die Miliz zunächst nicht zu dem Angriff. Der IS kämpft in Syrien und im Irak, hat aber längst Zellen in Ägypten und im tunesischen Nachbarn Libyen gegründet. Ein Anschlag im Herzen Tunesiens wäre ein neuer Machtzuwachs der Miliz. Zumal das Land als Hochburg der gewaltbereiten Dschihadisten gilt. Schätzungen zufolge sollen rund 3000 tunesische Extremisten in den Krieg nach Syrien und im Irak gezogen sein. Mehr als aus jedem anderen nordafrikanischen Land.

Nach dem Ende der Geiselnahme meldete sich die Abgeordnete Ounissi erneut auf dem Kurznachrichtendienst Twitter . "Wir sind ohne Angst", schreibt Ounissi. Ein frommer Wunsch.

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RückschauMit Attacken auf ausländische Urlauber wollen Extremisten häufig Tourismus und Wirtschaft eines Landes schaden. Einige Fälle: April 2011: Bei einem Bombenanschlag auf ein beliebtes Kaffeehaus in Marokkos Touristenhochburg Marrakesch sterben 17 Menschen. April 2006: Drei Sprengstoff-Attentate im ägyptischen Taucherparadies Dahab reißen mehr als 20 Menschen in den Tod, auch einen Zehnjährigen aus Baden-Württemberg. Juli 2005: Bei einer Anschlagsserie im ägyptischen Badeort Scharm el Scheich sterben 66 Menschen, darunter mehrere ausländische Touristen. Oktober 2002: Mehr als 200 Menschen sterben, als in zwei Diskotheken auf der indonesischen Ferieninsel Bali Bomben explodieren. Unter den Toten sind auch sechs Deutsche. April 2002: Vor einer Synagoge auf der tunesischen Mittelmeerinsel Djerba explodiert ein mit Gascontainern beladener Kleinlaster. Mehr als 20 Menschen, darunter 14 deutsche Touristen, kommen ums Leben. dpa

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