Blanker Hass gegen die Flüchtlinge von Freital

Freital · Seit mehreren Tagen eskalieren in Freital bei Dresden die Proteste gegen eine Flüchtlingsunterkunft. Beobachter sprechen von einer pogromartigen Stimmung. Aber es gibt auch Unterstützung für die Heimbewohner.

Um etwa 19.30 Uhr trifft am Mittwochabend der erwartete letzte Bus mit 40 weiteren Asylbewerbern vor dem ehemaligen Leonardo-Hotel im sächsischen Freital ein. Der Fahrer hat eine Ausweichroute gewählt, denn die Straße zu dem seit März als Asylbewerberunterkunft genutzten Gebäude ist durch Polizeifahrzeuge abgeriegelt. Vor den Absperrungen protestieren etwa 100 Gegner der Flüchtlingsunterkunft. Später wird ihre Zahl um weitere 60 Personen anwachsen. Sie schwenken eine deutsch-russische Fahne, wie sie auch bei den Dresdner Pegida-Demonstrationen zu sehen ist, und rufen Sprechchöre wie "Wir wollen keine - Asylantenschweine". Hinter der Absperrung begleiten etwa 80 Unterstützer die verstört wirkenden Ankömmlinge, zumeist Frauen mit Kindern auf dem Arm, zum Eingang und helfen, die wenigen Gepäckstücke zu tragen.

Solche Bilder spielen sich jeden Abend in der Kleinstadt unweit von Dresden ab, seit am Montag erstmals ein Mob von Asylfeinden vor dem Gebäude aufmarschierte. Mit wüsten Formulierungen ruft die Initiative "Nein zum Heim" zum "Selbstschutz" auf. Wie bei Pegida folgen dem zu 90 Prozent junge Männer, die auch nicht nur aus dem Ort stammen.

Die Flüchtlingsunterstützer sind ebenfalls zum Teil aus Dresden angereist. Ihre Autos hält die Polizei unter besonderer Beobachtung, nachdem an mehreren Fahrzeugen mit auswärtigen Kennzeichen die Reifen zerstochen wurden. Eine junge Frau, die privat Taschen mit Kleidung und Spielzeug in die Unterkunft bringt, wird von den Asylgegnern fotografiert und macht sich Sorgen um ihre künftige Sicherheit.

Steffi Brachtel von der Initiative "Weltoffenheit und Toleranz Freital " hat die Pro-Asyl-Demo organisiert. Sie kann sich zumindest teilweise erklären, warum mit den industriellen Zusammenbrüchen nach 1990 aus dem ehemals "roten Freital " der Arbeiter eine Hochburg von AfD und Pegida wurde: Pegida-Gründer Lutz Bachmann ist hier zu Hause. Bei Facebook hat auch er dazu aufgerufen, sich zur Wehr zu setzen.

Weil die Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz aus allen Nähten platzt, verteilen die sächsischen Innenbehörden die Flüchtlinge jetzt auch auf andere Orte. Die Landesregierung geht mit geschätzten 23 000 Flüchtlingen 2015 von doppelt so vielen Asylbewerbern aus wie 2014.

Brachtel zeigt auch Verständnis für die unmittelbaren Anwohner der Unterkunft, die wie viele andere in dem Ort von der plötzlichen Erweiterung des Heims überrumpelt wurden. Die Asylpolitik des von Minister Markus Ulbig (CDU ) geführten sächsischen Innenministeriums hält sie für konfus. Eine Einschätzung, die vom anwesenden Kulturbüro Sachsen ebenso geteilt wird wie von den Oppositionsparteien Linke und Grüne. Die Freitaler Rathausspitze schweigt bislang zu den Vorfällen.

Dafür redet Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU ), nachdem er sich gestern ein Bild der Lage gemacht hat. "Das ist in den letzten Tagen in der Kommunikation nicht immer gut gelaufen", sagt er. "Wir werden den Informationsaustausch intensivieren", kündigt er an, ohne konkret zu werden. Auf die tagelangen Proteste und ihre Wirkung auf die Flüchtlinge geht er nicht ein. "Völlig inakzeptabel sind aber Drohungen, Hetze und Gewalt gegen Bürgermeister und Landräte , die sich engagieren, für eine menschenwürdige Unterkunft zu sorgen." Ob er einen Ausweg sieht, die Lage in Freital wieder zu befrieden? Diese Antwort bleibt Tillich schuldig.

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Am randeHorst Seehofer (CSU ) hat im "Münchner Merkur" von "massenhaftem Asylmissbrauch " in Deutschland gesprochen. Bayerns Ministerpräsident rügte zugleich Bundespräsident Joachim Gauck für dessen Forderung, angesichts der Vertreibung Millionen Deutscher vor 70 Jahren großherziger gegenüber Flüchtlingen zu sein. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi warf dem CSU-Chef "billige Polemik" vor.dpa

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