Blamage für die Türkei

Istanbul. Nur zwei Tage nach der mit viel internationalem Lob bedachten Verfassungsreform in der Türkei hat die Regierung in Ankara gestern eine schallende Ohrfeige aus Europa kassiert

Istanbul. Nur zwei Tage nach der mit viel internationalem Lob bedachten Verfassungsreform in der Türkei hat die Regierung in Ankara gestern eine schallende Ohrfeige aus Europa kassiert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gab den türkischen Behörden eine Mitschuld an der Ermordung des prominenten armenisch-stämmigen Journalisten Hrant Dink (Foto: dpa) vor drei Jahren. "Eine Blamage für die Türkei", sagte der Istanbuler Politologe Cengiz Aktar unserer Zeitung. Immerhin sei aber jetzt zu hoffen, dass die Aufarbeitung des Mordes durch die türkische Justiz endlich vorankomme. Einstimmig hielten die Europa-Richter den türkischen Behörden vor, sie hätten Dink trotz vorliegender Hinweise auf Mordpläne aus der rechtsextremen Szene nicht geschützt. Nach den tödlichen Schüssen auf den Journalisten in Istanbul im Januar 2007 hätten die Behörden zudem eine gründliche Untersuchung des Falles verweigert und insbesondere Ermittlungen wegen der mutmaßlichen Verwicklung hochrangiger Mitglieder der Sicherheitskräfte in die Verschwörung gegen Dink abgeblockt. Nun muss Ankara der Familie von Dink knapp 134 000 Euro an Schmerzensgeld und Gerichtskosten zahlen; als Mitglied des Europarats ist die Türkei an Urteile aus Straßburg gebunden. Doch nicht die Geldstrafe macht den Fall so besonders. Das Europa-Gericht stellte mit seinem Urteil offiziell fest, was viele Kritiker der türkischen Behörden schon lange vermuten: Dass offizielle Stellen in der Türkei untätig zuschauten, wie militante Rechtsradikale den Mord an einem der prominentesten Journalisten des Landes planten und ausführten. Die Regierung in Ankara hatte das Urteil kommen sehen und in letzter Minute noch versucht, sich mit Dinks Familie außergerichtlich zu einigen. Deshalb bekannte sich das Kabinett kürzlich zur Mitschuld der Behörden - doch die Geste kam zu spät. Im Straßburger Urteil kann die türkische und die internationale Öffentlichkeit nun nachlesen, wie vor und nach dem Mord an Dink bei den türkischen Behörden geschlampt, verschleiert und geleugnet wurde. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in der Türkei seien im Grunde nur "eine Verteidigung der betroffenen Polizeibeamten" gewesen, kritisierte das Menschenrechtsgericht. Den Gründen für das Versagen der Polizei sei nicht weiter nachgegangen worden. Zu der immer noch offenen Frage, ob hinter dem zur Tatzeit minderjährigen Todesschützen Ogün Samast eine Organisation stand, zu der auch Mitglieder von Polizei und paramilitärischer Gendarmerie gehörten, äußerten sich die Straßburger Richter nicht. Diese Frage zu beantworten, ist Aufgabe der Richter in Istanbul, die das immer noch laufende Verfahren gegen Dinks Mörder führen.Meinung

Gerechte Strafe

Von SZ-MitarbeiterinSusanne Güsten Türkische Behörden wussten von dem Mordkomplott gegen Hrant Dink, einen der bekanntesten Journalisten des Landes - und taten nichts dagegen. Womöglich beteiligten sich Sicherheitskräfte sogar aktiv an der Verschwörung. Völlig zu Recht hat das Straßburger Menschenrechtsgericht deshalb die Türkei scharf verurteilt. Kurz nach dem Erfolg des Verfassungsreferendums vom Sonntag zeigt sich, dass es mit Gesetzesänderungen allein nicht getan ist: In den Köpfen von Polizisten, Richtern, Staatsanwälten und Politikern muss sich etwas ändern. Bleibt zu hoffen, dass der Rüffel aus Straßburg dabei hilft.

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