Bilder des Terrors – live und in Farbe

Die Art der Berichterstattung vom 22. Juli 2016 hätte es ohne den 11. September 2001 so vermutlich nicht gegeben. Es ist gegen 18 Uhr an diesem Juli-Freitag in Deutschland - Feierabendzeit, viele kommen gerade nach Hause und freuen sich auf ihr Wochenende, als die erste Meldung über eine Schießerei in einem Kaufhaus in München die Menschen aufschreckt. Es dauert nicht lange, und das Fernsehen ist schon live dabei. Vieles ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar, aber brandaktuell wollen die Sender, von ARD bis CNN , trotzdem bleiben. Sondersendungen laufen bis in die Nacht in Endlosschleife, im Internet kursieren wilde Spekulationen: Ist es Terror? Am Ende ist es ein tragischer Amoklauf, bei dem zehn Menschen sterben. Der Abend weckt böse Erinnerungen - an einen Tag vor 15 Jahren, als man ebenso gebannt vor dem Bildschirm saß - als der Terror die Medien eroberte.

 Ein Fernsehbild, das um die Welt ging: Am 11. September 2001 flogen Al-Qaida-Terroristen zwei Flugzeuge in das World Trade Center. Foto: dpa

Ein Fernsehbild, das um die Welt ging: Am 11. September 2001 flogen Al-Qaida-Terroristen zwei Flugzeuge in das World Trade Center. Foto: dpa

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Sie gehören zu den Foto-Ikonen des 21. Jahrhunderts: die Bilder vom einstürzenden World Trade Center ; von den Flugzeugen, die sich in die Twin Towers bohren, von den Menschen, die in höchster Not in die Tiefe springen. In Endlosschleifen auf allen TV-Kanälen übertragen, als Symbole einer Zeitenwende in Ausstellungen und Büchern präsent, wecken sie auch 15 Jahre nach dem 11. September 2001 noch Emotionen. Mancher kann sich auch hierzulande noch gut an seine Fernseherlebnisse dieses Tages erinnern; an den damaligen "Mister Tagesthemen" Ulrich Wickert , der aus dem Stegreif stundenlang live im Ersten moderieren muss. Oder an RTL-Mann Peter Kloeppel , der um 15.09 auf Sendung geht und seine Zuschauer mit bewegenden Worten bis in den späten Abend führt - und dafür später den Grimme-Preis erhält. "Die Terroristen haben erkannt, welchen Erfolg die Bilder des 11. September 2001 hatten", analysiert der Medienwissenschaftler Jo Groebel. "Seitdem haben die Terroristen gelernt, wie man Terror inszeniert."

Terrorismus und Medien: Beide haben mehr miteinander zu tun, als es der Presse lieb sein kann. "Terror ist ein Genre der medialen Entertainment-Industrie", provoziert der Philosoph Peter Sloterdijk . Die Medienindustrie verspreche für die brutalsten Aktionen die höchste Aufmerksamkeitsprämie - ob Amoklauf, Unglück oder Anschlag.

Schon lange vor 9/11 haben Terroristen die Medien bewusst benutzt: etwa bei Olympia 1972 in München oder 1977 mit den Fotos des Entführungsopfers Hanns Martin Schleyer. Doch damals konnten die Behörden die Verbreitung der Bilder noch stärker kontrollieren: Die Zahl der Fernsehkanäle war begrenzt, die der Kameras vor Ort ebenso.

Heute führt die Konkurrenz der Medienkanäle zum Wettlauf um das emotionalste Bild und die sensationellste Nachricht: "Es gibt heute kaum noch Ereignisse, die der Welt nicht sofort Bilder liefern", beschreibt Claus Kleber, Moderator des ZDF-Heute-Journals, die neue Medienwelt. Und Groebel ergänzt: Heute seien entweder von vornherein Kamerateams oder Smartphones vor Ort, oder die Terroristen drehten eigenes Videomaterial. "Die Kontrolle über das Bildmaterial ist massiv in die Hände der Akteure übergegangen. Sie können viel weitreichender die Regie übernehmen als früher."

Breaking News, Brennpunkte und Sondersendungen. Damit räumen die Medien allerdings den Tätern genau die Bedeutung ein, die diese beanspruchen: eine Axt-Attacke - und schon hält die Welt den Atem an. Das wiederum vergrößert Hysterie und Angst der Bürger - ein Teufelskreis, ein Krieg im Kopf. Hinzu kommen die sozialen Medien, die für Echtzeit-Kommunikation sorgen: Neuigkeiten, aber auch Gerüchte und Falschmeldungen verbreiten sich in Windeseile und setzen Behörden, Sicherheitskräfte und klassische Medien massiv unter Druck - so wie im Juli in München. "Wenn die Münchner Polizei aufgrund von Social-Media-Gerüchten fälschlicherweise einen Großeinsatz am Stachus durchführt, dann merkt man, dass das eben auch real schädlich sein kann", sagt der Berliner Kommunikationsforscher Klaus Beck.

Wie lässt sich diese Spirale durchbrechen? "Wir müssen den Terroristen und Entführern den Sauerstoff der Öffentlichkeit entziehen", hatte die britische Premierministerin Margaret Thatcher schon 1985 im Licht des IRA-Terrors in Nordirland gefordert. Doch Zensur hat im Zeitalter des Internet keine Chance. Medien müssen berichten - auch über Terroristen . Umso wichtiger seien Qualität und Analyse, sagen Experten .

Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands, appelliert an seine Kollegen, die Langsamkeit wiederzuentdecken. Nachrichtenmann Kleber stimmt zu: Es müsse bei Terroranschlägen nicht immer pausenlos gesendet werden, rät er. Sondersendungen seien erst sinnvoll, wenn Zusammenhänge geliefert werden könnten. Überall und Kleber sind sich mit Blick auf die Zukunft einig: "Wir dürfen uns nicht von den sozialen Netzwerken treiben lassen."

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 Am Denkmal für die Opfer des 9/11 am Ground Zero in New York gedenkt Amerika am Sonntag seiner Opfer. Foto: Schmitt-Tege/dpa

Am Denkmal für die Opfer des 9/11 am Ground Zero in New York gedenkt Amerika am Sonntag seiner Opfer. Foto: Schmitt-Tege/dpa

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Auf einen blick Am Morgen des 11. September 2001 ist der damalige US-Präsident George W. Bush gerade zu Besuch in einer Grundschule in Florida, als um 9.05 Uhr Ortszeit ein erstes Passagierflugzeug in den Nordturm des World Trade Center in New York stürzt. Ein Zweites folgt. Amerika wird angegriffen. Zu diesem Zeitpunkt gibt es bereits Hunderte Tote, zwei weitere Flugzeuge sind in der Kontrolle von Terroristen . An der Südspitze Manhattans regiert das Chaos. 102 Minuten vergehen vom Aufprall des ersten Flugzeugs bis zum Einsturz des zweiten Turms - es ist der schwerste Terrorangriff auf amerikanischen Boden aller Zeiten. Die Bilder des Grauens werden wieder über die Fernsehbildschirme wandern, wenn die USA an diesem Sonntag der Anschläge gedenken. Bei der Attacke der Terrororganisation Al Qaida starben 2977 Menschen in New York und an zwei weiteren Anschlagsorten. 9/11 löste den Kampf der USA gegen den Terror aus. dpa

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