Besuch mit Hintergedanken

Brüssel · Außenminister Steinmeier hatte sich bei seinem Antrittsbesuch bei der EU einiges vorgenommen: Die Risse zwischen Brüssel und Berlin zu kitten und die Sozialdemokraten für die Europa-Wahl als stabile Kraft der Mitte zu präsentieren.

Die Kluft zwischen Berlin und Brüssel ist tiefer geworden. Krach um die Vorratsdatenspeicherung, um die Energiewende oder die Arbeitnehmerfreizügigkeit - "die Deutschen haben es sich mit vielen verscherzt", sagte erst vor wenigen Tagen ein hochrangiges Mitglied der EU-Kommission abseits der offiziellen Verlautbarungen. In dieser Situation bemühte sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), Risse zu kitten. "Wir wollen unsere Gespräche nicht nur mit dem Kommissionspräsidenten, sondern auch mit anderen Kommissaren intensivieren", sagte der SPD-Politiker, der Brüssel schon aus seiner Zeit in der letzten großen Koalition kennt. Kein Wunder, dass dem Mann mit den moderaten Tönen denn auch alle Türen offenstanden: EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, Parlamentschef Martin Schulz, Kommissionspräsident José Manuel Barroso und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton räumten ihre Kalender frei, um ihn zu empfangen.

Steinmeier trat zurückhaltend, fast schon bescheiden auf: "Wir sehen es als unsere Aufgabe an zu zeigen, dass Deutschland nicht besserwisserisch oder lehrerhaft auftritt", erklärte Michael Roth, Steinmeiers Staatssekretär. Der Minister selbst betonte, ihm sei der "direkte Kontakt wichtig". Im Übrigen müsse Europa "mehr sein als Krisenmanagement". Aber Steinmeiers Besuch war mehr als nur eine Willkommensgeste in Richtung EU. Der Außenminister versucht, in Europa eine gewichtige Rolle zu spielen, nachdem die Zuständigkeit nahezu vollständig in den Händen der Kanzlerin und des Finanzministers - und damit der Union - liegen. Intern hat er bereits in seinem Ministerium Schwerpunkte gesetzt. Martin Kott haus, bisher als Sprecher an Finanzminister Wolfgang Schäuble ausgeliehen, wurde ins Auswärtige Amt zurückgeholt und leitet nun die Europa-Abteilung. Er gilt als Kenner des europäischen Parketts. Steinmeier braucht solche Leute mit Verbindungen, um in Brüssel einen Fuß in die Türe zu bekommen. Er gehört zwar dem Rat der Außenamtschefs an, der aber zunehmend an Bedeutung verliert, seitdem mit Inkrafttreten des Lissabonner Reformvertrages 2009 nur noch die Staats- und Regierungschefs zu den Gipfeltreffen zusammenkommen.

Zudem erscheint dem bisherigen SPD-Fraktionschef im Bundestag die Stunde günstig. Denn während sich die Christsozialen als dritter Koalitionspartner für den Europawahlkampf mit EU-kritischen Positionen in Stellung bringen, bemühen sich die Sozialdemokraten als stabile Kraft der Mitte zu präsentieren. Wenn das Konzept aufgeht, könnte ein besonderer Gewinn winken: Bei einem Wahlsieg am 25. Mai wäre dem Sozialdemokraten Martin Schulz der Chefsessel der EU-Kommission wohl kaum noch zu nehmen.

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