Beschneidung bleibt in Berlin straffreiKnobloch sieht jüdische Existenz in Deutschland infrage gestellt

Berlin. Religiös motivierte Beschneidungen bleiben auch in Berlin unter strengen Voraussetzungen straffrei. Eltern oder Sorgeberechtigte der jüdischen oder muslimischen Jungen müssen künftig dem Eingriff - einer Entfernung der Vorhaut am Penis - ausdrücklich schriftlich zustimmen

Berlin. Religiös motivierte Beschneidungen bleiben auch in Berlin unter strengen Voraussetzungen straffrei. Eltern oder Sorgeberechtigte der jüdischen oder muslimischen Jungen müssen künftig dem Eingriff - einer Entfernung der Vorhaut am Penis - ausdrücklich schriftlich zustimmen. "Vorher ist eine Aufklärung über gesundheitliche Risiken zwingend notwendig", sagte Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) gestern in Berlin. Zudem müssten die Eltern die religiöse Motivation und Notwendigkeit nachweisen - etwa durch eine Bestätigung ihrer Gemeinde. Die Beschneidung dürfe ferner nur noch nach medizinisch fachgerechten Standards vorgenommen werden. "Wir können Ärzte mit der Sache nicht alleine lassen. Wenn diese Kriterien erfüllt sind, bleibt die Beschneidung straffrei", sagte der Senator. "Es bedarf aber grundsätzlich einer bundesgesetzlichen Regelung."Andere Länder sind weniger streng, ergab eine dpa-Umfrage, zumeist haben die Generalstaatsanwaltschaften Vorgaben gemacht.

In Baden-Württemberg reicht neben einer mündlichen Bestätigung der Eltern, ihr Kind aus religiösen Gründen beschneiden lassen zu wollen, eine schriftliche Einwilligungserklärung zur Operation aus, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe. Ein amtlicher Nachweis der Religionszugehörigkeit sei nicht nötig. Es müsse aber garantiert sein, dass der Eingriff unter ordnungsgemäßen medizinischen und hygienischen Standards erfolgt. Ähnlich in Sachsen: Wenn die sorgeberechtigten Eltern nach ärztlicher Aufklärung einer Beschneidung zugestimmt haben und sie auch hinsichtlich der Schmerzbehandlung nach den Regeln der Kunst von einem approbierten Arzt vollzogen wird, soll sie straffrei blieben.

In Nordrhein-Westfalen, wo es drei Generalstaatsanwaltschaften gibt und das Thema nach einem Kölner Urteil ins Rollen kam, sind auch keine übergreifenden Vorgaben vorhanden. Hamburgs Justizsenatssprecher Sven Billhardt stellt klar: "Der Deutsche Bundestag hat fraktionsübergreifend die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, nach dem medizinisch fachgerechte Beschneidungen von Jungen weiter zulässig sind. Wir werden das Verfahren konstruktiv begleiten." So sehen es auch das Saarland, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern.

Den Entwurf werde es bald geben, kündigt Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) in einem Gespräch mit der Wochenzeitung "Jüdische Allgemeine" an. Die Bundesregierung fühle sich verpflichtet, "baldmöglichst eine klare rechtliche Regelung vorzulegen. " dpa

München. Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, sieht durch die Debatte um die Beschneidung kleiner Jungen aus religiösen Gründen die jüdische Existenz in der Bundesrepublik infrage gestellt. "Ich frage mich ernsthaft, ob dieses Land uns noch haben will", schrieb Knobloch in der "Süddeutsche Zeitung". Es sei eine Situation, "wie wir sie seit 1945 hierzulande nicht erlebt haben." Sie frage sich, "ob die unzähligen Besserwisser aus Medizin, Rechtswissenschaft, Psychologie oder Politik, die ungehemmt über ,Kinderquälerei' und ,Traumata' schwadronieren, sich überhaupt darüber im Klaren sind, dass sie damit nebenbei die ohnedies verschwindend kleine jüdische Existenz in Deutschland infrage stellen", kritisierte sie. Die Beschneidung sei "Kern der jüdischen Identität".

Seit sechs Jahrzehnten müsse sie sich sich rechtfertigen, weil sie in Deutschland geblieben sei, so Knobloch. Sie habe diese Last "immer gerne getragen, weil ich der festen Überzeugung war, dass es dieses Land und seine Menschen verdient haben". Erstmals gerieten nun ihre Grundfesten ins Wanken. "Erstmals spüre ich Resignation in mir", räumte sie ein. afp

Foto: dapd

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