Berlin empfängt Luther – und Obama

Berlin · Der evangelische Kirchentag dreht sich zum Reformationsjubiläum nicht nur um den prominenten Besuch aus Amerika. Auch Kurioses beschäftigt die Gläubigen.

 Der Fernsehturm im Zeichen des Kreuzes: Die Bundeshauptstadt Berlin ist bis Sonntag der Haupt-Gastgeber des evangelischen Kirchentags. Auch Wittenberg richtet im Luther-Jahr aber Veranstaltungen aus. Foto: Zinken/dpa

Der Fernsehturm im Zeichen des Kreuzes: Die Bundeshauptstadt Berlin ist bis Sonntag der Haupt-Gastgeber des evangelischen Kirchentags. Auch Wittenberg richtet im Luther-Jahr aber Veranstaltungen aus. Foto: Zinken/dpa

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(kna/epd) Aller Augen werden auf ihm ruhen: Wenn der ehemalige US-Präsident Barack Obama an diesem Donnerstag beim Kirchentag zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Brandenburger Tor über Demokratie und Verantwortung diskutiert, wird "Mr. Cool" allen anderen die Schau stehlen. Eine andere Hauptfigur prägt das Treffen der evangelischen Christen derweil aus dem Hintergrund: der Reformator Martin Luther, dessen Glaubensrevolution vor 500 Jahren den Rahmen des Großereignisses bildet. Zu sehen gibt es dort bis Sonntag nicht nur Prominente, sondern auch jede Menge Kuriositäten.

Apropos sehen: Der deutsche evangelische Kirchentag startet an diesem Mittwoch unter dem biblischen Motto "Du siehst mich". Wer den Vers im ersten Buch Mose, Kapitel 16, nachschlägt, bekommt denn auch gleich große Augen. Dort geht es um eine komplizierte Dreiecksbeziehung, Eifersucht und Abhängigkeit, ein geschwängertes Dienstmädchen und mittendrin Gott, der alles sieht. Stoff wie aus einer Daily-Soap. Wer dabei die Augen verdreht, sieht dem Logo des Kirchentags schon verblüffend ähnlich: Zwei Wackelaugen auf orangefarbenem Grund. Sie können jeden nur denkbaren Blickwinkel einnehmen - das ist das Ziel des Treffens, das zum ersten Mal an zwei Standorten stattfindet, nämlich hauptsächlich in Berlin, aber auch in Wittenberg. Das Programm des Laien-Treffens mit rund 2500 Veranstaltungen bietet Gottesdienste und Diskussionen - auch zu kuriosen Themen. Es finden sich Titel wie: "Ist das noch Kirche oder kann das weg?", "Störfall Männerleiden", "Segne mich, aber bleib mir vom Leib" oder "Yoga für Schwerhörige". Doch wenn auch Gott und der Kirchentag ihre Augen auf alles zu richten vermögen, der einzelne Besucher kann es nicht. Er muss eine Auswahl treffen, und naturgemäß gibt es einige Blickfänger - wie eben Barack Obama.

Der prominente Auftritt mit der Kanzlerin mitten im Bundestagswahlkampf wird auch argwöhnisch betrachtet. Manch einer fragt sich, was Obama mit der protestantischen deutschen Laienbewegung zu tun hat. Vielleicht spannt eben das Reformationsjubiläum den Bogen: Martin Luther, der mit seiner Kritik an der römischen Kirche langfristige gesellschaftliche Veränderungen anstieß, steht für einen Wandel, den viele 2009 auch mit dem Amtsantritt Obamas verbanden. In jedem Fall steht der Besuch für die bewegten Zeiten, in denen der Kirchentag in diesem Jahr stattfindet.

In den Diskussionen wird es daher auch um die Zukunft Europas, internationale Konflikte, gesellschaftlichen Zusammenhalt, Rechtspopulismus und das Miteinander der Religionen gehen. Wie schon beim Kirchentag 2015 in Stuttgart werden auch die Flüchtlinge wieder ein bestimmendes Thema, nicht nur bei einer Schweigeminute für die Toten im Mittelmeer, bei der alle Kirchentagsveranstaltungen am Freitagmittag kurz innehalten sollen.

Zeitgleich zum Obama-Auftritt an Christi Himmelfahrt werden andere Veranstaltungen das Nachsehen haben, etwa der Friedensgottesdienst mit Reformationsbotschafterin Margot Käßmann oder das Podium mit Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) zum Elterngeld. Ebenfalls parallel zu Obama diskutieren Vertreter der evangelischen Kirche mit den "Christen in der AfD". Die Entscheidung der Veranstalter, anders als der Katholikentag im vergangenen Jahr Vertreter der AfD nicht grundsätzlich von der Bühne fernzuhalten, sorgte im Vorfeld für Kritik.

Sehenswert beim Kirchentag ist sicher Deutschlands erster Segensroboter "Bless 2U". Er begrüßt sein Gegenüber mit: "Guten Tag! Hello! Bonjour! Kann ich Sie segnen?" Rund 1,80 Meter groß und mit einem Touch-Screen ausgestattet, wendet er sich in Wittenberg den Besuchern zu.

Doch nicht nur deshalb ist auch Wittenberg eine Reise wert. Die Luther-Stadt ist zum Abschluss des Kirchentags am Sonntag auch ein Paradies für Schnäppchen-Jäger: Nie wieder wird man so günstig in das kleine Städtchen reisen können wie mit den Sonderzügen, die die Deutsche Bahn eigens an diesem Tag einsetzt, um möglichst viele Besucher zum Abschlussgottesdienst in die Stadt zu karren. Läppische elf statt 32 Euro kostet die Zugkarte - zumindest von Berlin nach Wittenberg.

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Protestanten reden über Glauben und Gesellschaft Der deutsche evangelische Kirchentag findet als Forum für Laien seit 1949 in der Regel alle zwei Jahre statt. Neben Gottesdiensten oder Bibelarbeiten gibt es Diskussionen über kirchliche, soziale und politische Fragen. Zur Premiere an zwei Standorten erwarten die Kirchentags-Veranstalter in Berlin und Wittenberg bis Sonntag 100 000 Teilnehmer und 200 000 Besucher zum Abschlussgottesdienst in der Luther-Stadt. Wegen Terrorgefahr sind mehr Sicherheitskräfte und Kontrollen vorgesehen als je zuvor.

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