Bereit wie nie für den Kampf ums Kanzleramt

Saarbrücken · Seit Monaten spekuliert die Republik über den Kanzlerkandidaten der SPD. Parteichef Gabriel erweckt den Eindruck, als wolle er diesmal gegen Merkel antreten. Sein politischer Lieblingsfeind ist derzeit aber ein anderer.

 Sigmar Gabriel beim Besuch in der SZ-Redaktion. Der SPD-Chef trinkt Tee. Foto: robby Lorenz

Sigmar Gabriel beim Besuch in der SZ-Redaktion. Der SPD-Chef trinkt Tee. Foto: robby Lorenz

Foto: robby Lorenz

Vor der Ahnengalerie der SZ, im Flur auf dem Weg zum Konferenzraum, wo Bilder der alten Chefredakteure hängen und Titelseiten aus 256 Jahren, bleibt Sigmar Gabriel plötzlich stehen. Er lächelt. Die Überschrift vom Mai 1974 liest er mit Freude. "Ah, Helmut Schmidt soll neuer Kanzler werden." Das gefällt ihm. Ein Kanzler der SPD . Das würde Gabriel auch 2017 gefallen. Und eine dicke Schlagzeile wäre es auch. Denn eigentlich hat er keine Chance. Er, oder wer sonst für die SPD ins Rennen geht.

Gabriel aber ist ein Mann, der an die Zukunft glaubt. Das legt schon sein Privatleben nahe, der 57-Jährige wird im Frühjahr wieder Vater. Seinen dann drei Töchtern will er die Welt eines Tages allem Anschein nach als besseren Ort hinterlassen. Auch deshalb macht er Politik, und deshalb legt er sich mit Kollegen an, am liebsten mit Wolfgang Schäuble . Das CDU-Urgestein, so stellt es Gabriel beim SZ-Besuch dar, betreibe eine Nach-mir-die-Sintflut-Politik. Und die werde "die Bürger noch teuer zu stehen kommen". Ein ausgeglichener Haushalt sei "etwas Wunderbares", erklärt Gabriel. "Aber wenn Sie das für absolut erklären, kann es passieren, dass Sie die Probleme nur in die Zukunft verlagern und noch größer machen. Das größte Problem von CDU und CSU ist die Geringschätzung der Zukunft."

So redet einer, der bereit ist für den Kampf um die Macht. Auch wenn seine Hauptgegnerin Angela Merkel heißt, knöpft sich Gabriel doch vor allem den Finanzminister vor. Es sei "falsch und gefährlich", dass Schäuble eine staatliche Forschungsförderung für den Mittelstand verweigere. Auch habe er ja vor allem deshalb einen guten Haushalt, "weil wir momentan 20 Milliarden Euro pro Jahr an Zinsen sparen". Für Gabriel muss dieses Geld genutzt werden. Sein Credo lautet investieren, investieren, investieren!

Politisch investiert hat Gabriel in Heiko Maas , er nennt ihn heute "großartig". Schon lange vor der letzten Bundestagswahl habe er mit dem Saarländer einen Wechsel nach Berlin besprochen: "Heute sind alle froh, einen so umsichtigen und klugen Justizminister zu haben." Etwas weniger Lob hat der SPD-Chef für einen früheren Parteifreund parat. Zwar habe er "keine Schwierigkeiten" mit Oskar Lafontaine : "Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass er sich in seiner Rolle wohlfühlt in dieser neuen Partei. Er wird es nicht zugeben, aber wer mal SPD-Vorsitzender war, der wird nie in einer anderen Partei richtig ankommen. Eigentlich ist die Entwicklung tragisch." Lafontaines Gattin Sahra Wagenknecht wirft Gabriel sogar vor, "gefährliche Positionen" zu vertreten, nah an der AfD. Starker Tobak. Wer da noch an Rot-Rot-Grün glaubt, glaubt auch an Schwimmbadwetter im Januar. Womit der SPD die Machtoptionen dann aber sehr schnell abhandenkommen, im Grunde hat sie keine.

Trotzdem: Die SPD muss den Anspruch haben, mit einem eigenen Kanzlerkandidaten anzutreten, seit Monaten wird spekuliert, es deutet alles auf Gabriel hin. Er bricht auch in Saarbrücken sein Schweigen nicht, er bringt das Thema selbst zur Sprache, sagt aber nichts außer: "Ich bin stolz auf meine Partei, dass sie dem medialen Druck standhält. Wir bleiben beim Fahrplan und werden am 29. Januar entscheiden."

Am liebsten, das hat er mehrfach erzählt, wäre Gabriel eine Urabstimmung gewesen. Allein: So viele fähige und/oder willige Leute haben sich nicht aufgedrängt. Weshalb die Entscheidung nun doch im kleinen Kreis fällt. Eigentlich wünscht sich Gabriel das Gegenteil: "Dass man als SPD im Hinterzimmer etwas baut, dann ins Schaufenster stellt und die Leute kommen schon, das funktioniert nicht mehr." Politik lebe mehr denn je vom Mitmachen, das ist seine tiefe Überzeugung. "Demokratie ist doch kein Fußballspiel, wo man auf der Tribüne sitzt und über alles und jeden meckert. Unser Land ist so gut, wie die Menschen es machen." Das hat fast was von Kennedy: "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann - frage, was du für dein Land tun kannst." Doch Gabriel ist kein Kennedy, sicher nicht, er steht auch rein äußerlich nicht für den Aufbruch in eine neue Zeit. Dennoch wird er aller Voraussicht nach antreten.

Könnte er Kanzler ? Beim Thema Sicherheit klingt er schon nach klarer Kante: "Alle IS-Kämpfer kommen aus salafistischen Moscheen. Wenn es nach mir geht, würde ich die alle schließen lassen und alle Hass-Prediger ausweisen. Wir haben die viel zu lange in Ruhe gelassen." Wobei der Vizekanzler auch deutlich macht: "Ich glaube, dass wir einen großen Irrtum begehen, wenn wir glauben, durch Gesetzesverschärfungen allein den Terrorismus bekämpfen zu können."

Der Terror, die Flüchtlinge, die moderne Welt - Gabriel nimmt bei vielen Menschen das Gefühl eines allgemeinen Kontrollverlustes wahr: "Nicht nur über die Grenzen, sondern über das eigene Leben. Die Globalisierung hat in den letzten 30 Jahren die Verunsicherung steigen lassen, davon profitiert heute auch die AfD. Ich denke, dass Heimat ein ganz moderner Begriff ist: Da, wo ich lebe, will ich sicheren Grund unter den Füßen haben, gerade weil sich der Rest der Welt immer schneller verändert." Doch die Heimat vieler Menschen zerfällt. 20 Prozent der Dörfer in Deutschland hätten weder eine Bushaltestelle noch eine Apotheke noch eine Schule oder einen Supermarkt, zählt Gabriel auf: "Das müssen wir ändern und in die Stabilität der Gesellschaft investieren."

Gabriel denkt dabei offensichtlich konkret auch an das Saarland. Zumindest rühmt er sich für den Einsatz seiner Partei bei den Bund-Länder-Finanzverhandlungen. Bei den zähen Gesprächen "hat sich Frau Kramp-Karrenbauer sicherlich gefreut, dass es die SPD gibt". Denn die Union habe keine Entlastung der Länder gewollt, sagt Gabriel, "vorneweg Herr Schäuble". Dicke Freunde werden die beiden nicht mehr, das ist sicher. Der Rest bleibt spannend. Irgendwie.

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