Politische Krise in Israel Netanjahu setzt sich als Parteichef durch – Machtkampf vorbei?

Jerusalem · Israels Likud-Partei hat Netanjahu erneut zu ihrem Vorsitzenden gekürt - trotz einer Korruptionsanklage und obwohl er schon zweimal bei der Regierungsbildung gescheitert ist. Warum bleibt die Parteibasis dem 70-Jährigen so bedingungslos treu?

Nach seinem klaren Sieg bei einer parteiinternen Wahl lässt Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sich am Freitag von seinen Anhängern feiern. Der 70-Jährige spricht von einem „riesigen Sieg“ und gibt sich zuversichtlich, dass er auch bei einer Parlamentswahl im März Erfolg haben wird – im dritten Anlauf. Bei der Likud-Wahl erzielte Netanjahu mit 72,5 Prozent der Stimmen einen deutlichen Sieg. Sein Herausforderer Gideon Saar erhielt 27,5 Prozent. „Der Likud gehört ihm“, schrieb die Nachrichtenseite ynet am Freitag.

Netanjahu hat wieder einmal bewiesen, dass er die Likud-Partei fest in der Hand hat. Gut zwei Monate vor einer schicksalhaften Parlamentswahl – der dritten binnen eines Jahres – verleiht ihm der Erfolg starken Auftrieb. Doch Netanjahus größte Herausforderungen liegen noch vor ihm. Eine Korruptionsanklage in drei Fällen hängt wie ein Damoklesschwert über ihm, und er ist in diesem Jahr schon zweimal bei der Regierungsbildung gescheitert.

Jonathan Rynhold, Politikprofessor an der Bar-Ilan-Universität nahe Tel Aviv, erwartet auch bei der Wahl im März keinen Durchbruch. „Es ist unwahrscheinlich, dass eines der beiden Lager die notwendige Mehrheit für eine Regierungsbildung erzielen wird“, sagt Rynhold. Eine beispiellose Politkrise lähmt Israel schon seit rund einem Jahr. Parlamentswahlen im April und September ergaben jeweils eine Pattsituation zwischen Netanjahus rechts-religiösem Lager und dem Mitte-Links-Lager. Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman mit seiner ultrarechten Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) war dabei jeweils Zünglein an der Waage, schloss sich aber letztlich keinem der beiden Lager an.

Denn Lieberman will die Bildung einer großen Koalition zwischen dem Likud und dem oppositionellen Mitte-Bündnis Blau-Weiß von Ex-Militärchef Benny Gantz – ohne die religiösen Parteien. Dies scheiterte aber bisher daran, dass Gantz zwar einen Pakt mit dem Likud gutheißt, aber wegen der Korruptionsanklage nicht mit Netanjahu an der Spitze. Netanjahu beharrte auf der anderen Seite darauf, nur mit einem ganzen Block rechter und religiöser Parteien in die Koalition einzutreten.

Die Unterstützung dieses Blocks braucht Netanjahu nämlich für sein politisches Überleben. Er muss bis zum 1. Januar entscheiden, ob er beim Parlament Immunität gegen Strafverfolgung beantragen wird. Politikwissenschaftlerin Gail Talschir von der Hebräischen Universität meint, Netanjahus einziges Interesse sei gegenwärtig, einem Prozess zu entgehen. Er behaupte beharrlich, es gebe eine Hexenjagd auf ihn. Dabei machten das Justizsystem, liberale Medien und die Akademie gemeinsame Sache, um ihn zu stürzen. „Das ist das klassische Argument des ‚deep state’“, sagt Talschir. Mit „deep state“ ist ein angebliches geheimes Netzwerk gemeint – etwa von Bürokraten, Geheimdienstmitarbeitern und Militärs – , das die demokratisch gewählte Führung eines Landes untergraben will. Auch konservative Medien in den USA behaupten, ein solcher „deep state“ arbeite gegen US-Präsident Donald Trump, enger Verbündeter Netanjahus. Das Likud-Wahlergebnis beweist, dass eine deutliche Mehrheit der Parteimitglieder dieser Darstellung Glauben schenkt. Israels Höchstes Gericht berät am Dienstag über die Frage, ob Netanjahu im Falle eines Wahlsiegs trotz der Korruptionsanklage mit der Regierungsbildung beauftragt werden könnte.

Im Zuge der Likud-Wahl bekräftigte Netanjahu die Pläne zur Annektierung von großen Teilen des besetzen Westjordanlands. Er wolle eine US-Anerkennung der israelischen Souveränität im Jordantal und allen Siedlungen im Westjordanland erreichen, sagte er am Freitag.

Die März-Wahl wird wohl über Netanjahus Schicksal entscheiden. Sollte er zum dritten Mal dabei scheitern, eine Regierung zu bilden, „dann wird seine Position unhaltbar“, meint Rynhold. Gideon Saar habe sich durch seine Kandidatur als Alternative positioniert.

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