Belgiens Regierung stürzt über Bankenaffäre

Brüssel. Belgien ist das erste Land, dessen Regierung über die Folgen der Bankenkrise gestrauchelt ist. Ministerpräsident Yves Leterme (Foto: dpa) kündigte am Freitagabend (wir berichteten kurz) den Rücktritt des kompletten Kabinetts an, dem Minister aus fünf Parteien angehören. Auslöser ist der Versuch der belgischen Regierung, die angeschlagene Fortis-Bank zu retten

Brüssel. Belgien ist das erste Land, dessen Regierung über die Folgen der Bankenkrise gestrauchelt ist. Ministerpräsident Yves Leterme (Foto: dpa) kündigte am Freitagabend (wir berichteten kurz) den Rücktritt des kompletten Kabinetts an, dem Minister aus fünf Parteien angehören. Auslöser ist der Versuch der belgischen Regierung, die angeschlagene Fortis-Bank zu retten. Nach einer Zehn-Milliarden-Euro-Spritze wollte Leterme das Geldhaus an den französischen BNP-Paribas-Konzern verkaufen, stieß dabei jedoch auf erbitterten Widerstand der Kleinaktionäre, die den Transfer per Gericht anfochten.

In den Wochen vor dem Urteil sollen Beauftragte des Ministerpräsidenten versucht haben, die Richter auf verschiedenste Weise zu beeinflussen. So seien die beteiligten Juristen von Leterme-Beauftragten in Gesprächen gefragt worden, ob sie sich "wirklich ihrer Verantwortung bewusst" seien. Der Ministerpräsident selbst räumte Mitte der Woche "Kontakte" zur Justiz ein, wies aber Vorhaltungen, er habe die Richter beeinflussen wollen, weit von sich. Diese hatten sich am Ende aber von den Versuchen, Druck auf sie auszuüben, nicht beirren lassen und am Freitag vor einer Woche entschieden, den Fortis-Verkauf den französischen Konzern für zunächst 65 Tage auf Eis zulegen.

Belgien blickt damit in eine unsichere Zukunft. Denn der einzige aussichtsreiche Kandidat für ein Regierungsamt und zweite Wahlsieger von 2007, der liberale Wallone Didier Reynders (derzeit Vize-Regierungschef und Finanzminister) gilt als angeschlagen. Ihm wird vorgeworfen, Insider-Wissen über die Fortis-Krise an seine Frau weitergegeben zu haben, die daraufhin - rechtzeitig vor dem Bekanntwerden der Probleme des Bankhauses - ein Aktienpaket verkauft hatte.

Meinung

Belgien vor

dem Abgrund

Von SZ-Korrespondent

Detlef Drewes

Belgien war dem politischen Abgrund nie näher als jetzt. Dass ein Regierungschef zwei Mal vor und zwei weitere Male in seiner Amtszeit scheitert, sagt schon viel. Die Unmöglichkeit, einen geeigneten Nachfolger zu finden, aber ist die Botschaft, die über das Land hinaus ganz Europa angeht: Ein Staat, in dem mehrere Volksgruppen über Jahre hinweg ihren Separatismus zelebrieren, verarmt, weil er keine integrierenden Persönlichkeiten mehr hat. Die politische Klasse hat das zersetzende Spiel von Wallonen und Flamen so sehr mitgespielt, dass ihr jedes Reservoir an Gemeinsamkeit, das zur Krisenbewältigung nötig ist, ausgeht. Nichts bräuchte das Land aber dringender als einen Integrator, der in der Lage ist, den Regionalpolitikern deutlich zu machen, dass man Grenzen überwinden muss.

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